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Kasper (mit e!)

Martin Fritz erinnert sich an die Zusammenarbeit mit der jüngst verstorbenen Kuratorenlegende

Kennengelernt habe ich Kasper (mit e!) König 1992 im Rektorat der Städelschule in Frankfurt. Ich war auf dem Weg zur documenta IX und nutzte den Kasselbesuch als Vorwand, um dem berühmten Kurator eine kurzfristige persönliche Vorstellung anzubieten. Ich wollte damit meine Chancen auf die Projektleitung der Festwochenausstellung „Der Zerbrochene Spiegel“ erhöhen, für die mich Cathrin Pichler kurz zuvor empfohlen hatte.

Königs Angebot, auf seiner büroeigenen Filtermaschine einen Kaffee zuzubereiten, hob sich wohltuend von den herrischen Bestellungsrufen an die Vorzimmer ab, die man bei den Mächtigen damals noch häufiger erlebte. Der Termin endete mit einem schnell hergestellten Einvernehmen über die Aufgabe und damit, dass er mir kurzerhand eine Übernachtungsmöglichkeit in der Wohnung seines Buchhändlerbruders in Kassel vermittelte.

Nach mehreren Möglichkeiten zur engen Zusammenarbeit(1) weiß ich heute, dass ich bei diesem ersten Treffen schon einige Geheimnisse seines Erfolgs kennengelernt hatte: Kasper König war stets auf der Suche nach motivierten, oft jüngeren Kräften für Schlüsselrollen in seinen Projekten und er verstand es, sich beliebt zu machen. Zugleich wusste er durch kleine Gesten den Eindruck des unkomplizierten, hierarchiefrei mitanpackenden Machers auch dort aufrecht zu erhalten, wo ihn große Teams in der Umsetzung der Projekte begleiteten.

Seine Fähigkeit, Kollaborateur:innen zu integrieren, sorgte nicht nur dafür, dass viele neben ihm sichtbar blieben und Bekanntheit erlangten, sondern diente auch ihm selbst: Er aktualisierte seine eigene Praxis, blieb auch bei Jüngeren im Gespräch und die von ihm arrangierten Arbeitsteilungen ermöglichten es ihm sich auf seine zentralen Kompetenzen zu konzentrieren, die er virtuos - wie ein Doppelagent - im Interesse der Kunst einsetzte. Sein ureigenes Territorium waren zwar die Wohnungen der Künstler:innen, ihre Ateliers und ihre Galerien, doch ebenso oft lief er in den Büros der Intendant:innen, Kulturdezernent:innen und Oberbürgermeister:innen zur Hochform auf, wenn es darum ging, die Voraussetzungen für die zahlreichen, folgenreich gewordenen Ausstellungen zu schaffen. Wenige konnten sich ihm entziehen, wenn er mit großem Einsatz und rhetorischem Geschick die Überzeugung vermittelte, dass alles funktionieren würde, wenn man ihn nur machen ließe. Ich will nicht verschweigen, dass er in seiner sorgsam kultivierten Schnoddrigkeit bisweilen auch unpassend sein konnte - in Wien wurde er etwa im Rahmen der Arbeit an der Abschlussausstellung der Akademie der bildenden Künste im Jahr 2000 von Studierenden dafür kritisiert - doch die zahlreichen Kommentare zu seinem Tod zeichnen einen beliebten Kollegen, und es fällt auf, wie viele betonen, von ihm gelernt zu haben. So möchte auch ich noch eine Geschichte beisteuern, die mir als eine der Lehren aus der Zusammenarbeit in Erinnerung geblieben ist:

König kuratierte mit Wilfried Dickhoff, von dem das ursprüngliche Konzept stammte, unter dem Titel „In Between“ die Kunstprojekte im Außenraum für die EXPO 2000 in Hannover. Wir (Florian Waldvogel und Andreas Wissen als Projektkoordinatoren, ich als Geschäftsführer) standen einige Monate vor der Eröffnung vor dem Problem, dass die niederländische Malerin Lily van der Stokker bereits relativ lange mit der Entwicklung des endgültigen Entwurfs für ihre überdimensionale Wandmalerei auf einer der größten Messehallen beschäftigt war. Wie bei Großprojekten üblich, steigt in solchen Momenten auf der einen Seite der Druck von Seiten der zu beauftragenden Firmen, die nur bis zu einem bestimmten Datum bereit sind, pünktliche Fertigstellung – ohne immense Zuschläge - zu garantieren, während es verständlicherweise auf Künstler:innenseite oft noch Zweifel gibt, ob bereits die beste Lösung für ein prominentes Werk gefunden worden ist.

Nachdem wir als Organisationsteam alles versucht hatten, mussten wir Kasper König als höhere Instanz und Autorität mobilisieren, um die dringende Notwendigkeit einer Entscheidung zu vermitteln. Nun muss man wissen, dass es König – und das war ein wesentlicher Teil seines Erfolgs – eher unangenehm war, Künstler:innen gegenüber ablehnend oder einschränkend zu sein. Königs Stärke waren die großzügigen Einladungen, die ermunternde Kommunikation, die Leidenschaft in der Akzeptanz von Künstler:innenwünschen, sein Witz sowie eine Art performative Renitenz gegen die Zwänge allzu pragmatischer Rahmenbedingungen. König war für das Ermöglichen zuständig. Künstler:innen gegenüber war „Ja“ sein Lieblingswort. 

Meiner Erinnerung nach redeten wir also auf einen eher unwilligen König ein, als wir ihn vor dem Treffen sehr genau über die Deadlines, die Auftragsbedingungen, den budgetären Rahmen und die drängenden Termine informierten, um ihn detailreich darauf vorzubereiten, der Künstlerin bestimmt gegenübertreten zu müssen. Das Treffen begann, König sagte wenig und schlug vor, gleich zu den Testbemalungen zu gehen, die der Malereibetrieb an der Fassade der Halle vorgenommen hatte, um eine weitere Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Nach wenigen Sekunden der intensiven Betrachtung wandte er sich an die neben ihm stehende Künstlerin, sagte kein Wort über Deadlines, nichts über Zwänge, gar nichts über die zu beauftragenden Firmen und natürlich auch nichts über Geld. Er löste das „Problem“ auf die einfachste Weise und mit der Erfahrung dessen, der schon zu Beginn seiner Laufbahn mit „Andy“ (Warhol) zu tun hatte: Er beschränkte sich darauf, der Künstlerin begeistert, lautstark und wiederholt zu vermitteln, wie großartig und überzeugend er die Tests fand und wie „great“ das Projekt werden würde. Ich weiß nicht mehr, ob er sich überhaupt für oder gegen einen der Entwürfe aussprach, doch ich weiß, dass die Künstlerin kurz danach den Entwurf für ihre tatsächlich großartige Arbeit „Pink Building“ freigegeben hat.

Kasper König (er blieb übrigens immer beim sogenannten Hamburger Sie, bei dem man trotz „Sie“ beim Vornamen genannt wird) wusste stets, dass es zu seinen wesentlichsten Aufgaben gehörte, den von ihm Eingeladenen für die Mühen der Berge Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln. Für die Mühen der Ebene motivierte er zahlreiche Kolleg:innen zur Mitarbeit und förderte damit viele, die ihm – wie auch ich heute – mit Respekt nachrufen.

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1) Martin Fritz war Projektleiter der Ausstellung „Der Zerbrochene Spiegel“ bei den Wiener Festwochen 1993, kuratiert von Kasper König und Hans Ulrich Obrist, Geschäftsführer von „In Between – Das Kunstprojekt der EXPO 2000 in Hannover, kuratiert von Wilfried Dickhoff und Kasper König und verantwortete mit Kasper König die Auswahl für die Abschlussausstellung der Akademie der Bildenden Künste in Wien im Jahr 2000.
Abbildung: Kasper König © Fabian Zapatka / laif / picturedesk.com

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