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Die Reise der Bilder. Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut: Von Monument Men und Arisierungsprofiteuren

Linz, die Landeshauptstadt des Bundeslandes Oberösterreich liegt nicht im Salzkammergut, das in diesem Jahr als „europäische Kulturhauptstadt“ eine große Fülle an kulturellen Programmen bietet. Dennoch ist die Stadt bis jetzt durch den Lauf der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit dieser Region eng verknüpft und im Speziellen mit der Kulturpolitik Adolf Hitlers. Es ist nicht nur der Mythos vom „Führermuseum“ in Linz, das mit geraubten Pretiosen der europäischen Kunstgeschichte gefüllt werden sollte. Eine Ausstellung im Lentos Kunstmuseum Linz enthüllt, dass die Pläne weit über Linz hinausgingen. Kunst und Kunsthandwerk sollte nach den Wünschen Hitlers über ganz Deutschland in Museen verteilt und der Vermittlung und Festigung der Nazi-Ideologie in der Bevölkerung dienen. An unterschiedlichen Orten wurden Kunstwerke zusammengetragen und harrten der Entscheidung des „Führers“, wohin sie nach Raub und Verschleppung verbracht und ausgestellt werden sollten.

Mit Fortdauer des Zweiten Weltkrieges und dem Vorrücken der Alliierten ging es bald aber nicht mehr um Lagerung, sondern um Rettung der Werke vor den Zerstörungen durch Kampfhandlungen und so wurden tausende Kunstwerke schließlich ab Mitte 1943 nach Altaussee transportiert und in ein Salzbergwerk verbracht. Die Idee der Auslagerung in Kriegsferne Regionen war von den Nationalsozialisten zum Schutz der Bestände der heimischen Museen wie der Albertina, dem Belvedere und dem Kunsthistorischen Museum schon ab 1938 entwickelt worden. Enteignete Besitzungen in der Umgebung Wiens wie die Kartause Gaming oder das Rothschild’sche Jagdschloss in Steinbach bei Göstling dienten bereits ab 1939 als externe Lager für Werke aus Museen und den von jüdischen Besitzer:innen beschlagnahmten Kunstwerken. An mehr als 200 Orten in Wien und Niederösterreich wurden Depots eingerichtet. Ab Dezember 1944 wurde schließlich ein Stollen in Lauffen nahe Bad Ischl zum Schutzraum für Werke von Weltgeltung aus den Wiener Museen.

Der Ausstellungstitel „Die Reise der Bilder“, der eher an die heutzutage üblichen internationalen Kunsttransporte zwischen Museen und Ausstellungsorten denken lässt, spiegelt nicht die Dramatik wider, die in der Geschichte vieler Werke der Ausstellung liegt. Besonders das Schicksal vieler von den Nazis entzogener und geraubter Kunstwerke beschäftigt Provenienzforscher:innen noch heute. Während die Sicherungstransporte der Werke aus den Museen durchwegs gut dokumentiert waren und die Rückführungen in die Sammlungen nach Kriegsende meist ohne Probleme vonstatten gingen, begann für die Raubkunst eine für Einzelwerke zum Teil bis heute andauernde Suche nach den ursprünglichen Besitzer:innen und deren Nachkommen. Nicht zuletzt wurde die Geschichte rund um geraubte Kunstwerke in Altaussee und anderen Depots auch von Hollywood in dem Film „Monuments Men“ mit George Clooney, Matt Damon und Bill Murray aufgegriffen. Die Ausstellung und der umfassende Katalog beleuchten auch die Rolle des Kunsthandels bei Enteignung und Weiterverkauf von Kunstwerken. Exemplarisch dargestellt wird dies am Bildnis der Ria Munk. Aranka Munk bestellte das (unvollendet gebliebene) Porträt ihrer durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Tochter Maria (Ria) mit einem zweiten Porträt auf dem Totenbett bei Gustav Klimt. Ria auf dem Totenbett schenkte Munk später dem befreundeten Bildhauer Josef Heu, das zweite Bildnis (Porträt Ria Munk III), das die junge Frau stehend zeigt, befand sich bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Munks Villa in Bad Aussee. Die Villa wurde von den Nazis beschlagnahmt, Ria Munk gemeinsam mit ihrer Tochter Lola nach Łódź ins Ghetto deportiert, wo beide ums Leben kamen. Das Bildnis Rias tauchte unter unbekannten Umständen beim Kunsthändler und Lentos Gründer Wolfgang Gurlitt auf und wurde im Jahr 1956 von der Stadt Linz angekauft. Im Jahr 2009 wurde das Bild an die Erben nach Aranka Munk restituiert und im Jahr 2010 bei Christie`s London für knapp 23 Millionen Euro versteigert.

Es wäre nicht das Lentos, würde nicht auch zeitgenössische Kunst eine Rolle in der Ausstellung spielen. Für das Zentrum des Ausstellungsraums hat die deutsche Künstlerin Henrike Naumann ihre ursprünglich 2019 im Haus der Kunst München gezeigte Installation Ruinenwert adaptiert. Naumann setzt sich in ihren oft raumgreifenden Arbeiten mit dem Verhältnis von gesellschaftspolitischen Problemfeldern und Interieur bzw. Design auseinander. Für das Haus der Kunst (das im Auftrag Hitlers erbaut und 1937 als „Haus der Deutschen Kunst“ eröffnet wurde) hatte sie mit Möbeln aus den Depots des Ausstellungsgebäudes einen Bezug zur Raumsituation in Hitlers Berghof in Berchtesgaden – inklusive Alpenpanorama aus Schrankwänden – hergestellt. In Linz steht, neben vielen Elementen aus der ursprünglichen Inszenierung, eine gutbürgerliche Sofagarnitur unweit einer hölzernen Kinderwiege, die an einem Ende ihr Entstehungsdatum mit „Anno 1941“ angibt, auf der anderen Seite für wen das darin liegende Kind gedacht sei: „Für Volk und Vaterland“.

Dass die Ideologien, die auf die Auslöschung von Identitäten durch die Vernichtung von Kunst und kulturellen Artefakten zielen, nicht der Vergangenheit angehören, zeigt sich an vielen aktuellen Konflikten weltweit. Die Ausstellung im Lentos ist Teil einer Trilogie, die sich im alten Marktrichterhaus in einer zeitgenössischen Auseinandersetzung fortsetzt und im Kammerhofmuseum Bad Aussee nochmals auf die Rolle von Wolfgang Gurlitt als Profiteur von Raubkunst eingeht.[1]

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[1] ⤇ Hier geht es zur artmagazine Kritik der Ausstellungen in Lauffen und Bad Aussee

Mehr Texte von Werner Remm

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Die Reise der Bilder. Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut
20.03 - 08.09.2024

Lentos Kunstmuseum Linz
4020 Linz, Ernst-Koref-Promendade 1
Tel: +43 70 7070 36 00
Email: info@lentos.at
http://www.lentos.at
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr


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