viennacontemporary: Die Kunstmesse als Puppenhaus
Leicht hatte es die viennacontemporary zuletzt nicht. Nach der bereits reduzierten Pandemie-Ausgabe 2020 (--> unsere Messekritik hier) sah man sich aufgrund der neu aufgetauchten Konkurrenz durch die spark artfair gezwungen, die Marx Halle zu verlassen und konnte als Kunstmesse auf der Baustelle der Alten Post zumindest einen Achtungserfolg erzielen (--> unsere Messekritik hier). Trotz seiner ukrainischen Wurzeln musste der russische Eigentümer Dmitry Aksenov die Messe nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine abgeben und man besann sich auf seine Ursprünge, und gestaltete die Trägerorganisation zu einer Non-Profit-Organisation um, mit ausschließlich österreichischem Advisory Board und Shareholdern.
Mit dem Kursalon Wien hat man einen Austragungsort gefunden, der den Flair des Wien der Jahrhundertwende transportiert, als die Hauptstadt des damaligen Vielvölkerstaats der Habsburger ihre Rolle als Drehscheibe und Vermittlungsort zwischen Ost und West begründen konnte und damit auch den Fokus der Kunstmesse auf Zentral und Osteuropa unterstützt. Einziger Nachteil des Gebäudes ist allerdings das Platzangebot. 400 Quadratmeter netto-Ausstellungsfläche stehen in dem als Tanz- und Konzertlokal genutzten Haus zur Verfügung. Das bedeutet das jede Galerie im Schnitt sechs Quadratmeter bzw. rund ebensoviele Laufmeter Wand zum Hängen von Bildern nutzen kann. Die Gänge sind schmal wie man es von anderen Kunst- und Antiquitätenmessen in historischen Gebäuden Wiens kennt. Dennoch ist die diesjährige Ausgabe eine der bisher stimmigsten in der Geschichte der viennacontemporary.
Boris Ondreička, seit 2021 künstlerischer Leiter, konnte dieses Jahr 62 Galerien aus 17 Ländern für eine Teilnahme gewinnen, davon jeweils ein Drittel aus Österreich, aus Westeuropa und Osteuropa und kann so an die erfolgreiche Geschichte der Kunstmesse in ihren frühen Jahren anknüpfen, in denen die viennacontemporary als Dooropener für viele Ost-Galerien in den westlichen Kunstmarkt fungierte und Kunstsammler:innen den Aufbruch der dortigen Kunstszene nach der Öffnung mitvollziehen konnten. Für Ondreička ist der Umkreis von rund 600 Kilometern um Wien das zentrale Einzugsgebiet der viennacontemporary. Für Westeuropa ist das eine durchaus realistische Einschätzung, denn mit den großen Messen in Basel, Paris und London konnte die viennacontemporary ohnehin nie konkurrieren. Richtung Osten muss man da noch ein paar hundert Kilometer dazurechnen, aber die Mischung stimmt.
Natürlich spielt die Ukraine dieses Jahr eine besondere Rolle auf der viennacontemporary. Bereits im Vorfeld diskutierte man bei einem Symposium die kulturelle Integration der Ukraine in die Europäische Union. Der Ausstellungsraum das weisse haus beherbergt (noch bis 11. November) im Rahmen einer Kooperation die Ausstellung The Cockerel with Black Wings: A Recovered Heirloom, kuratiert von der gebürtigen Ukrainerin Kateryna Filyuk. Auch drei Galerien aus Kyiv haben es zur viennacontemporary geschafft. The Naked Room, die u.a. auch Nikita Kadan vertreten, der zu Kriegsbeginn mithalf, Panzersperren in Kyiv zu schweissen, präsentiert eine Soloshow von Pavlo Makov, der dieses Jahr auch den Pavillon der Ukraine in Venedig bespielt. Der 63-jährige Makov spiegelt in seiner eigenen Geschichte die ganze Tragik der aktuellen Situation für die Kultur in der Ukraine. Er wurde selbst in St. Petersburg geboren und sieht sich sowohl als Russe als auch als Ukrainer, wenngleich er kulturelle Unterschiede zwischen den beiden Ländern betont.
Einige Galerien nehmen schon seit vielen Jahren an der viennacontemporary teil, wie Kisterem aus Budapest und P74 aus Lubljana, die mit einer Auswahl des Künstlerduos Small but dangers angereist sind. Jiri Svestka aus Prag nimmt die Platzsituation sportlich und inszeniert die Aquarelle von Monika Pascoe Mikyšková als übereinandergeschichtete Reihe am Boden seiner Standwand, die noch dazu teilweise von einem Vorhang verdeckt wird. Maxla XO aus Riga präsentieren überhaupt nur die Hälfte des 200 x 400 cm großen Diptychons „Wellcom“ von Kristaps Zarins. Sandwich aus Bucharest kombiniert Keramiken der Ukrainerin Diana Khalilova mit 3-D Renderings von Nicoleta Mures aus Rumänien, wobei die kleinen Figuren von Khalilova den stärkeren Eindruck hinterlassen. Bei Eugster aus Belgrad fallen die filigran gearbeiteten monochromen Kohlköpfe der in Wien und Berlin lebenden Julija Zaharijević ins Auge. Ruttkowski aus Köln/Düsseldorf/Paris präsentieren Malerei des Steiff-Tiere sammelnden Künstlers Philip Emde. Wenn diese nicht gerade dicht an dicht seine Bilder bevölkern, werden sie schon mal als stille Beobachter vor die Werke platziert oder in Installationen verarbeitet. Gisela Clement aus Bonn hatte bereits auf der spark artfair großen Erfolg mit den Werken von Ulrike Rosenbach gehabt, an den sie mit der aktuellen Werkauswahl auf der viennacontemporary anschließen will. Timothy Persons von Persons Projects/Berlin erwartet sich großes Interesse an den frühen analog farbmanipulierten Fotografien von Grey Crawford aus dem Jahr 1980.
Bei den österreichischen Galerien fallen die neuen, in grellen Neonfarben gehaltenen Bilder von Herbert Brandl bei Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder ins Auge, während schräg gegenüber bei Martin Janda die fein ausgearbeiteten Porzellan-Wandarbeiten der auf Taiwan geborenen Chin Tsao einen genaueren Blick wert sind. Emanuel Layr nutzt seinen Eckstand zur Präsentation neuer Skulpturen von Lena Henke. In ihren etwas vergrößert dargestellten Haushaltsgeräten aus dem 3-D Drucker spürt die Künstlerin den architektonischen und gesellschaftlichen Ideen modernistischer Achitektur und deren stereotypen Rollenbildern anhand des Berliner Hansaviertels und des Designers Dieter Rams nach.
Nach wie vor ist auch die bewährte ZONE1 mit ihren Einzelpräsentationen junger Künstler:innen Teil der viennacontemporary. Aufgrund der Beengtheit des Veranstaltungsortes müssen die acht Galerien allerdings mit dem engen und niedrigen Kellergewölbe vorlieb nehmen.
Die Situation der vienacontemporary scheint sich mit der diesjährigen Messe konsolidiert zu heben, allerdings sind die Dinge nach wie vor im Fluss. Weder auf den Ort, noch die Anzahl der teilnehmenden Galerien will man sich in Zukunft fixieren. Für Boris Ondreička wären auch weniger Teilnehmer eine machbare Option.
08 - 11.09.2022
Kursalon Wien
1010 Wien, Johannesgasse 33
https://www.viennacontemporary.at
Öffnungszeiten: 13-19 h