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Kosmiker

Nach den Aufgeregtheiten der letzten Wochen ist die Lage gerade eigentümlich normal. Pilsen ist, wer hatte es noch parat, gerade eine der europäischen Kulturhauptstädte. Aus diesem Anlass zeigen sie dort eine Schau zu einer der Kapitalen der Kultur vor hundert Jahren, zur „München – leuchtende Kunstmetropole (1870-1918)“. Frankfurt ist, wer könnte das vergessen, gerade eine der bestausgestatteten Zentralen im internationalen Ausstellungsbetrieb. In der Schirn haben sie soeben „Künstler und Propheten“ eröffnet, um an all die Spinner, Bohemiens, Weltverbesserer zu erinnern, die in den vielerlei Avantgarden ihr Wesen trieben. Emanuel Krescenc Liška, Hagar und Ismael in der Wüste, 1883. München – leuchtende Kunstmetropole (1870-1918) Ziehen wir im Folgenden eine Schnittmenge aus den beiden Veranstaltungen und nehmen uns eine besondere Perle der Gespreiztheit vor: Die „Kosmiker“, deren Mission, den Weltstrumpf umzukrempeln, schon im Wort steht. Sie waren die eigentliche Münchner Bohème, die verwegenste unter all den Preziosen, die der Geselligkeit entsagten, um ganz der asketischen Vision zu leben. Stefan George war so etwas wie ihr Mentor, und er verlieh mit seinem von Initation erhitzten Jargon der allenthalben grassierenden Aufbruchsstimmung das Markerschütternde der Berufenheit. Die Runde der „Kosmiker“, in der George seine Statur entwickelte, war ein genuin Schwabinger Pflänzchen. Sie rankte sich um die Namen Ludwig Klages und Alfred Schuler, Graphologe der eine, Mysterienforscher der andere, die ein Neuheidentum propagierten, das die Verklemmtheiten von 1.900 Jahren Christentum souverän zu missachten suchte. Es galt, zur „Blutleuchte“ vorzudringen, und dieses Vermögen zu einem gleichsam organischen Cäsarentum war nur den allerwenigsten Auserwählten, voran natürlich den beiden Protagonisten, beschieden. Die „Kosmiker“ hatten ihre faschingshafte Albernheit, doch es ging dabei humorlos und entrückt zu, schließlich hieß es, durch ein Abendland hindurchzustoßen auf den Grund unverstellter Geschlechtlichkeit, sei diese, wie Schuler vorgab, androgyn, oder, wie George es bevorzugte, homosexuell. Karl Wilhelm Diefenbach, Per aspera ad astra, 1892. Künstler und Propheten Die „Kosmiker“ waren eine Schau für sich in München, und als es 1904 mit lautem Getöse zur Krise kam, zum „Großen Schwabinger Krach“, ließ die Stadt es sich nicht nehmen, spöttisch hinzuhören. George war zu selbstverständlich Ästhet, als dass er die Erlösungshoffnungen, die Schuler und Klages geradezu messianisch meinten, geteilt hätte. Es gab ohnedies längst Stimmen, die sich innerhalb des Zirkels, dem George vorsaß, zum Spott erhoben. Die bedeutendste stammt von der Gräfin Franziska zu Reventlow, einer der pittoreskesten Figuren des an Kauzigkeiten wahrlich reichen Milieus, Grand Dame und entprechend stets in Geldnöten, die es wohl als einzige erlebte, eine Schweizer Bank pleite gehen zu sehen, bei der sie ein wenig Erbe beiseite geschafft hatte. Schriftstellerin war sie, Übersetzerin und vor allem Mutter eines Märchenprinzen namens Rolf, für den sie malerisch Stillszenen arrangierte, worauf Schuler und Klages in Verzückung vor soviel Urmatriarchat gerieten. Die Reventlow hat der kosmisch-komischen Runde ihren 1913 erschienenen Schlüsselroman „Herrn Dames Aufzeichnungen“ gewidmet. Zehn Jahr davor, zur hohen Zeit der „Kosmiker“, hatte sie die illustren Erleuchter in einem ephemeren Blättchen namens „Schwabinger Beobachter“ aufs Korn genommen, anonym und zum allgemeinen Entsetzen der Herrschaften. George fand sich darin wunderbar bierselig als „Weihenstefan“ bezeichnet, Klages hieß ins Lateinische seiner Wunderwelt versetzt „Lamentates“, und insgesamt wurde im Idiom der Wissenden der Stadt und dem Erdkreis verkündet: Hier kamen, wie sie sich selber sahen, die „Enormen“. Normalität wie wir Heutigen kannten sie nicht. Die Geschichte weiß, worauf das hinauslief. www.plzen2015.cz www.schirn.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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