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Seidl

„Mauern wo geister noch zu wandern wagen/ Boden vom doppelgift noch nicht verseucht;/ du stadt von volk und jugend! heimat deucht/ uns erst wo Unsrer Frauen türme ragen“. Stefan George hat das im Jahr 1907 gedichtet und der Stadt, die ihm in seiner genialischen Ratlosigkeit bisweilen das Angebot, Heimat zu sein, unterbreitete, ein ureigenes Denkmal gesetzt. Die Münchner Ästhetik um 1900 wird ja generell mit dem Versponnenen, Verstiegenen und allzu Bemühten gleichgesetzt, mit den Kosmikern, der Bohème und den Weltverbesserern, der Esoterik des „Blauen Reiter“ und der splendiden Drohung der Gräfin zu Reventlow: „Warte Schwabing, Schwabing warte – dich holt Jesus Bonaparte.“ George war zu alldem die Personalunion. Dabei war der kulturelle Mainstream der Stadt geprägt vom krassen Gegenteil. Er war ausgleichend und integrierend, umarmend und atmosphärisch, diesig, dimpflig und milieubestimmt. Der Begriff für diese Ästhetik der Ensemblewirkung lautete „malerisch“. Die pittoreske Mischung, wie München sie liebte, findet ihren Höhepunkt im 1900 vollendeten Bayerischen Nationalmuseum. Gabriel von Seidl hat es geplant und errichtet. Zu dessen 100. Todestag widmet das Haus dem Architekten gerade eine Sonderschau, deren hauptsächliches Exponat natürlich das Museum selber ist. Bayerisches Nationalmuseum, Foto: Museum 1855 gegründet und zunächst an der Maximilianstraße untergekommen, sind hier die Schätze versammelt, die dem Staat nach seinem Einzug in die Moderne, nach Säkularisierung und der Enteignung der Klostergüter, nach Mediatisierung und dem Ende der freien Reichsstädte um 1800 zugefallen waren. Die Exponate waren also bereits vorhanden, als Seidl, der Freund des Haupt- und Staatsdekorateurs Franz von Lenbach, sich an die Planung machte. Was schließlich an die Prinzregentenstraße gesetzt wurde und dem Boulevard aus dem Geist der Jahrhundertwende seine Seele verlieh, war eine Hybride aus Historischem und auf historisch Getrimmtem, war jene Architekturlandschaft, wie sie bis heute ihre Attraktivität behauptet. Es gibt kein Zentrum in diesem Konglomeratbau, sein Stil ist alle Stile, und wenn die Ausstellungsstücke aus der Zeit um 1200 stammen, dann sind die Säulen, die die Flachdecke tragen, romanisierend, und handelt es sich um gotische Schnitzwerke, dann hat Seidl ein Gewölbe in petto, das gekennzeichnet ist von Kreuzrippen. Noch heute ist das Streben nach Einheit und Gesamtheit zu spüren, auch wenn der Modernismus der Nachkriegszeit mit seinem Grau und seiner Ideologie des Meisterwerks viel von der Ensemblehaftigkeit, die die Ausstellung mit allerlei Fotodokumenten belegt, getilgt hat. Dieser Modernismus ist indes auch geprägt von der Erfahrung der Katastrophe: Nach der NS-Zeit und ihren Unvorstellbarkeiten ließ sich Geschichte nicht mehr als gleichsam naive Rückkehr ins Geschehene denken. Das Nationalmuseum Seidls kann sich dagegen ein durch und durch harmonisches Verhältnis zum Früher noch leisten. Der Geschichtsbegriff, den es in Szene setzt, ist nach heutigen Maßstäben nichts anderes als versöhnlerisch, auf Kontinuität erpicht, tradierend und retardierend. Das Nationalmuseum vollführt in aller Überzeugtheit seinen Ausstattungszauber, es ist ein Geschichtstheater, kulissenhaft, durchaus verlogen, aber dabei im Einklang mit sich und seiner Aufgabe, im Verweis aufs Vergangene das Werdende offenzuhalten. Das nun hat uns das 20. Jahrhundert mit seinen Regimen vornehmlich verleidet: Wir trauen der Zukunft nicht mehr. www.bayerisches-nationalmuseum.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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