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Werkbundsiedlung Wien 1932 - Ein Manifest des neuen Wohnens: Eine gescheiterte Utopie

Will man gesamte Siedlung in ihrem heutigen Zustand sehen, so muss man zum Roten Berg nach Hietzing fahren wo im heurigen Sommer die Sanierung der Einfamilienhäuser, die noch immer bewohnt sind, abgeschlossen wurde. Vor achtzig Jahren wurde am Abend des 4. Juni die Mustersiedlung eröffnet und war bis Anfang August für Besucher frei zugänglich. Es handelte sich dabei um eine Art riesige Verkaufsausstellung, die Häuser waren komplett mit Schaumöbeln eingerichtet, die das individuelle Wohlbefinden der künftigen Besucher steigern sollten. Auch waren dem Ausstellungskatalog Preislisten beilegt, die den Erwerb eines Hauses nahelegten. 14 Häuser wurden vor Beendigung der Ausstellung verkauft. Der Rest blieb frei und wurde schließlich von der Gemeinde Wien angekauft und vermietet. Der Verkaufserfolg dieses Musterbeispiels der Moderne war 1932 also bescheiden. Jedoch waren die politischen und ökonomischen Umstände, als die Werkbundsiedlung geschaffen wurde denkbar ungünstig: Der Börsenkrach von 1929, der Zusammenbruch der österreichischen Creditanstalt von 1931, die einsetzende wirtschaftliche Depression und der aufkommende Faschismus machten die architektonische Utopie eines besseren Lebens nicht mehr umsetzbar. Außerdem kostete ein Haus in der Siedlung damals umgerechnet ca. 120. 000 Euro und war somit nur für den gehobenen Mittelstand erreichbar. Im Zuge der Vermietung zogen jedoch einige Familien schleppend ein. Einige spätere Bewohner der Siedlung mussten 1938 fluchtartig das Land verlassen. Was aber war in der Rückschau das Exemplarische dieser Siedlung? Namensgebend für die Anlage war der „Österreichische Werkbund“, der 1912 gegründet worden war und die handwerkliche Kunst in einer individuellen Formgebung betonte. Damit wurde versucht, der industriellen Massenfertigung etwas entgegen zu setzen. Während einer Tagung des Deutschen Werkbund in Breslau 1929 beschlossen Präsident Hermann Neubacher, der Vorsitzende der gemeinschaftlichen Siedlungs- und Baustoffeanstalt –GESIBA- Vizepräsident Josef Hoffmann und Josef Frank in Wien eine Werkbundsiedlung zu errichten. Das Einmalige dieser Entscheidung war, dass hier jedes der 70 Häuser von einem anderen Architekten gestaltet werden und auf die unmittelbaren lebensbejahenden Bedürfnisse seiner Bewohner Rücksicht nehmen sollte. Die Creme de la Creme der internationalen sowie nationalen Architektur wurde hier tätig: Josef Hoffmann, Oswald Haerdtl, Gerrit Rietveld, Otto Breuer, Oskar Strnad, Adolf Loos, Walter Loos, Gabriel Guévrékian, Josef Frank, Richard Neutra, Ernst Plischke und als einzige Frau Margarete Schütte-Lihotzky. Die Häuser verfügten alle über eine eher bescheidene Grundfläche, waren unterkellert und meist zweigeschossig und hatten alle einen Gartenzugang. In diesem Ambiente sollte ein modernes Leben möglich sein. Auch plante man Häuser für Paare, deren Kinder bereits aus dem Haus waren und über Häuser für alleinstehende Frauen wurde nachgedacht. Spiritus Rektor der Durchführung und Planung der Siedlung war der Architekt und Designer Josef Frank und der Soziologe und Ökonom Otto Neurath. Otto Neurath der viel über einen positiv konnotierten Lebensstil für arbeitende Menschen nachdachte, prägte den Begriff vom „Glücklichen Wohnen und lebendigem Schaffen“ als Lebensmodell. Wie sehr das nach 1932 nicht mehr umsetzbar war, zeigt die nationale und internationale Entwicklung. Die Einmaligkeit der Werkbundsiedlung besteht unter anderem aber darin, dass sie hier nochmals die intellektuelle Elite eines liberalen Lebensstils und eines fortschrittlichen Denkens versammelte bevor ein Jahr später mit der Wahl Hitlers zum Reichskanzler der Sturm über Europa hereinbrach. Ein Drittel der Gestalter mussten entweder das Land verlassen oder wurden umgebracht. Von den 164 Personen die 1938 in der Werkbundsiedlung lebten, galten nach den Nürnberger Rassegesetzen 19 als jüdisch. Als Beispiel eines dieser Schicksale ist im Wien Museum ein Interview mit Karl Schanzer zu sehen. Im Gespräch erzählt der 1929 geborene Mann, wie er als Kind die Gewalt des politischen Umbruchs am eigenen Leib erfuhr. Seine Mutter, jüdischer Abstammung und Schwägerin von Adolf Loos, beging im Spital auf Grund der gegen sie laufenden Hetze Selbstmord, seine Schwester und er wurden zur Adoption freigegeben und konnten nach Australien emigrieren. 1941 gelangte er nach New York. Der Rest der Kernfamilie überlebte. Die Arisierung des Hauses 46 war im April 1941 abgeschlossen. (Haus 45/46 Jacques Groag) Eine intensivere Recherche über das Schicksal der Bewohner und der Gestalter könnte man sich von den Ausstellungsmachern im Wien Museum wünschen. Partiell wäre dies dann eine andere Ausstellung geworden. Die Schau im Wien Museum verhandelt in erster Linie die Ausstellung von 1932. Was damals in diesen Sommermonaten in Wien zu bestaunen war, wird hier versucht zu rekonstruieren. Zu sehen sind Interieurs, Stoffe, Bibliotheksgestaltungen und Schränke. Weiters zeigt das Wien Museum ein Architekturmodell der gesamten Siedlung wodurch eine Vogelschau auf die gesamte Anlage erstmals möglich wird. Alles in allem fußt die Ausstellung im Wien Museum vornehmlich auf kunsthistorischen Fragestellungen. Vor allem ist sie ein Dokument eines architektonischen Versuchs, der Meilensteine in der Lebenskultur durch Wohnbau setzen wollte.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Werkbundsiedlung Wien 1932 - Ein Manifest des neuen Wohnens
06.09.2012 - 01.01.2013

Wien Museum
1040 Wien, Karlsplatz
Tel: +43 1 5058747-0, Fax: +43 1 5058747-7201
http://www.wienmuseum.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 09-18, Sa, So 10-18 h


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