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Artissima 18: Wenig Parties, viel gute Kunst

Wenn die Frieze in London ein Supermarkt international operierender Kunstlabel ist, in dem modeabhängige Fashion Victims überteuerte Markenware kaufen, dann ist Turins Artissima ein Schaukasten präzise formulierter Avantgarde aus den Kreativzentren der Welt. Das wird am augenfälligsten am Stand der Lisson Gallery, der im Wettbewerb um den enttäuschendsten Auftritt keine Konkurrenz zu fürchten hätte. Dabei hat die Galerie gerade erst in Mailand den zur Zeit am meisten bewunderten Showroom eröffnet, der sich den Luxus leistet, auch schwer Verkäufliches unter die Glitzerware a la Julian Opie zu mischen. Das verwundert auch nicht weiter, liegt die Immobilie doch genau gegenüber der Kirche Santa Maria delle Grazie mit Leonardos Abendmahl. Doch wo das große Geld im Kunstzusammenhang keine Rolle spielt, verlieren auch gekämmte Leinwände und größere Ansammlungen verdrehter Stahl- und Bronzehaufen viel von ihrem Glanz. Dass die Artissima aus ihrer Randständigkeit im internationalen Kunstkarussel in den letzten Jahren immer mehr eine Tugend zu machen versteht, ist nicht zuletzt das Verdienst des neuen Direktors Francesco Manacorda. Zu seiner zweiten Ausgabe ist es ihm gelungen, Casey Kaplan in die Jury zu holen, der letztes Jahr noch als Besucher gekommen war. Aktive Akquise will der jedoch nicht betrieben haben. Das ginge auch gar nicht, meint er. Der Messekalender im Herbst sei so dicht besetzt, dass jeder selbst von einer Teilnahme in Turin überzeugt sein müsse. Aber "die Tatasache, das ich in der Jury bin, zeigt, dass ich von der Veranstaltung überzeugt bin." Dazu hat er allen Grund. Das Castello di Rivoli hat aus seiner Einzelpräsentation von Diego Perrone drei Arbeiten gekauft, zu Preisen zwischen 4.500 und 17.000 Euro. Das ist ungefähr die Preisspanne, die hier verhandelt wird. Und für diese verhältnismäßig kleine Münze gibt es zum Teil Erstaunliches zu kaufen, das durchaus museale Qualität haben kann. Sogar in der viel beachteten Sektion Back to the Future kommt man damit ganz schön weit. Die Galleria Repetto aus Acqui Terme hat einen Aktionskünstler der 60er Jahre ausgegraben, dem der verdiente Durchbruch noch bevorsteht. In ziemlich anarchischen Aktionen hatte Franco Mazzucchelli große bis riesige Aufblas-Objekte einer begeisterten Anhängerschaft in Straßen und auf Plätzen zum Spielen zur Verfügung gestellt. Filmaufnahmen dokumentieren das bürgerliche und behördliche Befremden angesichts des studentischen Spieltriebs im öffentlichen Raum. Selbst das größte Relikt aus diesen besseren Tagen des aufsässigen Spaßbürgers ist in tadellosem, wenn auch leicht bespieltem, Zustand für 15.000 Euro zu haben. In der gleichen Sektion stellt Anita Beckers aus Frankfurt aus, antizyklisch gewissermaßen. Für gewöhnlich steht sie mit ihrem Fokus auf Medienkunst ziemlich allein auf weiter Flur. Monitore finden sich unter dem Dach der Turiner Eissporthalle jedoch in größerer Zahl. Die Frankfurterin ist hingegen mit dem spröde handwerkenden William Anastasi eingeladen worden. Das macht für sie Sinn. Sei der doch zuerst in Italien wiederentdeckt worden. Daher fühlt sie sich hier richtig wohl: "Artissima hat ein ganz anderes Gesicht als andere Messen", sagt sie. "Das Angebot hier ist viel konzeptueller als das ganze shiny Zeug", das man ansonsten zu sehen bekomme. Dieser eher entspannte Umgang mit dem Marktplatz Kunstmesse ist fast überall spürbar. Georg Kargl aus Wien, der Turin als Ausgleich für das untergegangene Art Forum Berlin in seine Agenda übernommen hat, möchte von hier aus nicht nur seine italienischen Sammler erreichen, sondern auch die in der Schweiz und Frankreich. Den kaufmännischen Aspekt sieht er bisher gelassen: "In Umsätzen hat sich das noch nicht großartig geäußert, aber das stört mich zur Zeit nicht." Dabei scheint die Messe durchaus auch in dieser Hinsicht zu funktionieren. Wenn man seine Erwartungen nicht zu hoch schraubt. Schließlich haben die italienischen Institutionen erheblich weniger Geld zur Verfügung als in früheren Zeiten. Doch Turin ist ein ganz besonderes Pflaster auf der Halbinsel. Region und Kommune haben in den letzten Jahrzehnten recht konsequent auf zeitgenössische Kunst gesetzt und so ein Klima geschaffen, in dem sich privates Sammeln nicht nur auf große Namen und Dekoration beschränkt. Daher sind auch Figge von Rosen aus Köln und Berlin zurückgekehrt, nachdem sie infolge eines traumatischen Herbstes 2008 zweimal ausgesetzt hatten. Belohnt wurden sie gleich am ersten Tag durch einen Neukunden aus dem nahegelegenen Vicenza. Alexander Duve aus Berlin berichtet, dass Artissima ihm die bisher beste Messeteilnahme in seiner zugegeben noch recht jungen Galeristenlaufbahn beschert habe. Es sei allerdings ein Irrtum, anzunehmen, es handele sich um eine regionale Veranstaltung. Er habe von hier schon nach London, Norwegen und Schweden verkauft. Interessierte Sammler wissen anscheinend sehr genau, wo es spannende Entdeckungen zu machen gibt. Nur die Kuratoren machen sich eher rar, gerade die deutschsprachigen. Das ist nicht unverständlich. Denn die für das eigene Weiterkommen wichtigen Parties, Receptions und anderen Networking-Gelegenheiten finden dann eben doch in London, Miami oder Basel statt.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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Artissima 18
04 - 06.11.2011

Oval - Lingotto Fiere
10126 Turin, Via Nizza 294
Email: info@artissima.it
http://www.artissima.it
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h


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