Andrea Winklbauer,
Odysseus oder Bummler?
Die Kamera fährt durch Straßen, fängt andere Fahrzeuge und / oder Verkehrsteilnehmer ein, tastet Landschaften, Häuserschluchten oder auch nur undurchdringliche Dunkelheit ab. Roadmovies basieren im Prinzip auf einem sehr leicht wiedererkennbaren Motivrepertoire. Und doch ist die Faszination, die davon ausgeht, ungebrochen. Längst haben sich, wie bei allen übrigen Genres auch, die Gattungsgrenzen aufgeweicht, doch sowie man die Elemente des forcierten örtlichen Ungebundenseins ausgemacht hat, folgt unweigerlich die Sehnsucht nach dessen Intensität. So vielfältig, so in sich verzweigt ist mittlerweile die Bandbreite des filmischen „On the road“-Seins, dass man im Österreichischen Filmmuseum nicht nur eine, sondern gleich zwei Filmschauen zum Thema organisiert hat. Der erste Teil mit Genreklassikern wie „Bonny and Clyde“ oder „Easy Rider“ lief schon vor einem Jahr. Nun ist die Fortsetzung dran, in der es um Roadmovie-Interpretationen europäischer Filmautoren seit Mitte der 1970er Jahre sowie deren Nachhall bei US-Filmemachern geht.
Die Protagonisten der neuen Roadmovies von Wim Wenders („Alice in den Städten“, „Im Lauf der Zeit“, „Paris, Texas“), Michelangelo Antonioni („Professione: Reporter“), Jim Jarmush (Stranger Than Paradise“) oder Werner Herzog (Stroszek“) fahren nicht (nur) durch Raum und Zeit, um von A nach B zu gelangen. Vielmehr ist das Fahren on the road das Mittel zur Erkenntnis und / oder zur Veränderung, die schlicht zum Wechsel der Persepektive auf das eigene Leben, in eine Befreiung oder in den Tod führen kann. In den neuen Roadmovies spielt das Existentielle eine große Rolle, nicht nur, aber oft verbunden mit konkreten Bezügen auf posttayloristische Arbeits- und Lebensbedingungen. In Agnès Vardas „Vogelfrei“ etwa ist es eine rätselhafte junge Aussteigerin, die, anfangs noch selbstbewusst und begehrt, an ihrem kompromisslosen Bruch mit der Gesellschaft und deren Konventionen zugrunde geht. In Christian Petzolds „Pilotinnen“ sind es zwei sehr verschiedene Frauen, die als Vertreterinnen für eine Parfüm-Firma on the road sind. Nahezu en passant geschieht es, dass ihre Arbeits- und Lebenssituation sie zum Ausbrechen drängt, das wie selbstverständlich mit dem Auto geschieht.
Eine ganze Reihe von Filmen des Programms handelt von fahrenden Erkundungen der USA, „The United States of America“ von James Benning und Bette Gordon etwa oder Robert Kramers „Route One/USA“. Die Belgierin Chantal Akerman unterlegte in „News From Home“ ihre fahrend gemachten Aufnahmen durch New York mit gelesenen Auszügen aus Briefen ihrer Mutter aus Brüssel und schloss damit unmittelbar ihre Fremdheit in dieser durch so viele Fotos und Filme bekannten Stadt mit dem Gefühl von Heimat und Verortung anderswo kurz.
Spannend im Wortsinn ist schließlich eine Reihe von Filmen, in denen das Genre selbst befragt und erweitert wird. In Walter Hills „The Driver“ mit archetypischen, namenlosen Figuren liefert das obsessive Katz-und-Maus-Spiel zwischen einem Cop und einem Fluchtfahrer scheinbar nur den Anlass für Rasereien. In „Mad Max 2“ schlägt sich Mel Gibson als Road Warrior im postapokalyptischen Australien durch und in Kathryn Bigelows „Near Dark“ reist eine Handvoll Vampire im Wohnmobil durch den amerikanischen Mittelwesten: als Jäger und Gejagte zugleich.
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