
Andrea Winklbauer,
Hallo, wir waren da
Es war wieder ein guter "Jahrgang", wenn auch ohne echten Höhepunkt. Die Diagonale 2011 konnte sich sehen lassen, trotz des auch dieses Jahr wieder zurecht kritisierten Fördersystem des österreichischen Films. Prämiert wurden schließlich zwei Langfilmdebüts: der Spielfilm "Die Vaterlosen" von Marie Kreutzer und der Dokumentarfilm "Nachtschichten" von Ivette Löcker. Während in "Die Vaterlosen" eine Art Patchwork-Familienaufstellung nach dem Tod des Vaters (und ehemaligen Kommune-Alphatiers) durchgespielt wird, bietet Ivette Löcker eine kurzweilige Reise durch die Berliner Nacht im Winter, mit coolen Trouvaillen wie die Wachfrau, die von abends bis morgens am Industriegelände eines Berliner Hafens nach dem Rechten (und den Tieren) sieht, oder die japanischen DJane, die in Berlin lebt, um ihre Heimat aus der Distanz besser wahrnehmen zu können. Müsste man sich zwischen beiden Filmen entscheiden, so wäre der Dokumentarfilm der klare Favorit, aber sie haben ja beide gewonnen.
Will man Themen oder rote Fäden durch den Diagonalespielplan finden, so sind die Siegerfilme schon beispielhaft: Familiengeschichten werden auch in den Spielfilmen "Folge mir" oder "Headshots" aufgearbeitet bzw. behandelt. Oder das weite Feld österreichischer Skandale, auf das "Die Vaterlosen" mit dem Verweis auf die gescheiterte Utopie der Kommunen führt. Peter Kern etwa widmete sich mit "Mörderschwestern" den "Todesengeln" um Renate Wagner, der zynischen "Mundhygiene"-Mörderin des Lainz-Pflegeskandals von 1989 - eine buchstäblich "giftige" Gesellschaftssatire mit den gewohnt skurrilen Mitteln des Enfant terrible unter den österreichischen Filmemachern.
Blickt Ivette Löcker in "Nachtschichten" verschiedenen Typen großstädtischer Nachtmenschen ins Gesicht, so porträtierte Paul Poet in dem edel bebilderten Dokumentarfilm "Empire Me" fünf Utopien von Sezessionsstaaten und ähnlichen (Kunst-)Projekten. Miriam Bajtala zeigte in ihrem Kurzdokumentarfilm "Die Übung" ländliche Feuerwehr-, Turn-, Schauspiel- und Gesangsvereine bei ritualartigen Proben: für den Ernstfall, den Wettbewerb, die Aufführung, das Konzert. Noch schlichter präsentieren sich Lisa Webers "Momentaufnahmen". Der Siebenminüter hält Touristen aus aller Welt beim Posieren vor Wiener Sehenswürdigkeiten fest. Aus dem Off erfahren wir durch eine charmant ungeschult klingende Frauenstimme, wer die Leute sind, woher sie kommen und wohin sie gehen wollen. Faszinierend ist die kleine Form der großen Frage, die so leicht hingeworfen in der Erkenntnis mündet, dass alles Erscheinen vor der Kamera wie auch in der Welt nur ein kurzes "Hallo, wir waren da" gewesen sein kann.
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magic bullet | 14.08.2011 11:33 | antworten
Filmen entscheiden, so wäre der Dokumentarfilm der klare Favorit, aber sie haben ja beide gewonnen.
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