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Blick zurück oder voraus?

Eigentlich besteht die Alternative nicht, weil sie keine Wahl beinhaltet. Der Blick in die Vergangenheit ist überladen von eigenen Eindrücken und Erinnerungen. Zwischendurch tauchen chimärenhaft Bilder auf, die dann von anderen Bildern abgelöst werden. Und was die Zukunft angeht, können wir im Moment nur auf Pressemitteilungen hoffen. Aber dass man dennoch weit voraus greifen kann, bewies ja schon im letzten Jahr die kommende Dokumenta, die im Herbst ein erstes Künstlerbuch der dOCUMENTA (13) veröffentlicht hat, von Guillermo Faivovich und Nicolás Goldberg mit dem Titel 'The Campo del Cielo Meteorites – Band I: El Taco', präsentiert im Portikus, Frankfurt/Main am 24. September 2010 um 11 Uhr. Ein erstes Kunstwerk, ein Baum in Bronze von Guiseppe Penone war auch zu erleben, ebenso wie der Abgang des Pressesprechers Markus Müller, im gegenseitigen Einverständnis. Produktiv ist man jedenfalls in Kassel, auch ohne d13, Die Arbeit von Rein Wolfs im Fridericianum vor Ort ist beispielhaft, auch für Berlin. Die Stadt sollte man sich lieber von außen angucken. Wer länger hier bleibt, kann zu Depressionen neigen. Auch oder gerade wenn man die Kunstmetropole ins Auge nimmt. Der Ruf der Stadt leidet sozusagen unter dem Ruf der Stadt. Zu schnell verliert man die Übersicht, auch wenn alle halbe Jahre wieder ein Quartier zum Galerienzentrum ausgerufen wird, nebst überschtlichem Stadtplan. Von den Künstlern reden wir nicht, obwohl sie diese Quartiere ja immer noch zu entdecken scheinen. Der 'Geheimtip' ist gerade Neukölln. Das kann ich nur bestätigen, schließlich ist der Autor 1982 in diesem Kiez angekommen. Und tatsächlich gibt es dort auch jetzt eine Galerie in dieser Strasse, dort 'kenn ich mich aus, hier war ich mal zuhaus', hat Hilde mal gesungen... Wer es nur bis Mitte schafft, der ist selber schuld. Und leidet zu Recht. Da hilft kein Kittelmann und keine Rhomberg. Letztere, Katrin Rhomberg, war verantwortlich für die diesjährige Biennale, die zu den großen Enttäuschungen des vergangenen Kunstjahres gehört. Etwas ist faul im Biennale-Land und besonders wenn es sich in Berlin ansiedelt. Allenfalls die Außenarbeiten am Oranienplatz konnten überzeugen. Und die Organisatoren könnten sich bedanken bei den Widerständlern gegen Profitstreben auf dem Wohnungsmarkt. Durch deren Plakate erreichte die Schau in einem ehemaligen Kaufhaus noch größere Aufmerksamkeit. Von der Ausstellung in den Kunstwerken selbst blieb nur in Erinnerung, dass die Aufsichtskräfte dort von den Hühnern in der vierstöckigen Installation von Petrit Halilaj als Performer sprachen. Das war ein schönes Bild und ließ sich auch ausdehnen auf die Besucher: Kunstinteresse als Performance. Mehr war nicht drinnen, angesichts der überladenen Präsentation mit Haus im Haus und der misslungenen Hommage an die abstrakte Kunst. Die Organisatoren gehen für die nächste Biennale jetzt einen politisch korrekten Weg. Diesmal ist eine Pole der Leiter (Artur Żmijewski), der gleichzeitig auch Künstler ist. Mit der Antwort auf den „Open Call“ soll der Bewerber oder die Berwerberin auch ihre politische Gesinnung preis geben. Und es fällt uns das neue Medienrecht der Ungarn ein. Nennt man das Restauration oder nachholende Revolution? Es bleibt zu hoffen, dass derartige Distinktionen auch wirksam werden, zum richtigen Zeitpunkt. Denn diese Biennale war zwei Jahre zu alt in ihrem Rückbezug auf die Epochenschwelle 1989. Dergleichen Probleme muss Udo Kittelmann nicht fürchten, denn in den Häusern unter seiner Leitung findet sich eine Epochenschwelle nach der anderen. Und unser Udo beherrscht das Spiel mit diesen und anderen Schwellen. Die Neupräsentation in der Neuen Nationalgalerie stieß auf großes Interesse und Lob. Jetzt müsste man nur noch die Gelder finden, um das Haus von Mies van der Rohe zu restaurieren. Mit Carsten Höllers großzügiger 'Soma'- Installation ging er das gewagte Spiel ein, die Massen ins Haus des Hamburger Bahnhof zu locken, ohne den Inhalt zu verraten. Die Bloßtellung mit Schweinen und Rentieren und Vögeln war wirklich von eigenartiger Faszination. Als Betrachter musste man nur den wiederkäuenden Rentieren zuschauen, um eine spezifische Ruhe zu erfahren. Die kann man jetzt auch in der Mitte Berlin erleben. Die Temporäre Kunsthalle ist abgebaut und hat Wirkung gezeitigt. Es war schick, bei den Führunen den jeweiligen Kuratoren und Kuratorinnen zu lauschen über Sinn und Unsinn des Ausgestellten. Und tatsächlich handelte es sich beim dem Publikum keineswegs um die üblichen Verdächtigen. Ob die Leerstelle zu einer Lehrstelle wird, ist allerdings fraglich. Vielleicht vollzieht sich dieser Wandel erst am neuen Ort in Wien. Aber der Wandel lässt sich schon an einem Aufruf des Regierenden Bürgermeisters und gleichzeitigen Kultursenators ablesen. In diesem Jahr soll es eine Übersichtsausstellung zur Kunst in Berlin geben, was nicht gleich zu setzen ist mit Berliner Kunst. Dahinter stehen auch die Aller-Orts-Zampanos der zeitgenössischen Kunst: Hans Ulrich Obrist und Klaus Biesenbach. So lässt man sich mit anständigem Honorar instrumentalisieren. Bei Biesenbach wundert das nicht, trägt doch seine Gründung 'Kunstwerke' die Initialen KW, die ebenfalls für Klaus Wowereit gelten. Damit man keinen Künstler und keine Künstlerin übersieht, hat man dazu aufgerufen, sich zu bewerben. Eine weitere Jury wird das Material begutachten. Das Gute wird dann ausgestellt, damit man weiß, was man so und so schon weiß: Berlin ist eine Kunstmetropole. So wird Kunst politisch instrumentalisiert, was man bis dato immer auf andere Zeiten und den früheren Osten bezog. Um einen Wandel bemüht sich auch die Berlinische Galerie unter ihrem neuen Direktor Thomas Köhler, der schon frischen Wind ins Haus gebracht hat. Nan Goldins Fotos erinnern einen an eine andere Zeit, als West-Berlin noch Insel war. Das sieht heute anders aus. Es verwundert nicht mehr, wenn ein Künstlername auftaucht mit Wohnsitz Berlin, sei er oder sie aus England, den USA oder Frankreich. Und sei es mit Fetting, dem dieses Jahr auch eine Ausstellung gewidmet ist. Und wo bleibt das (Kunst)Büro Berlin, das Gegenbild zur wilden Malerei als die Ausstellung der normalen Realität? Als langjähriger West-Berliner freut man sich darüber, weil man die späten Achtziger in Berlin damit mehr überlebt hat als erlebt. Wären die Ostberliner nicht 'aufgestanden aus Ruinen', wäre Westberlin zu westdeutschen Provinz geworden. Und was bringt die Zukunft? Es bleibt die Hoffnung auf eine gewisse Normalität und sei es die zwischen Berlin und Paris. Zum dritten Mal findet der Austausch verschiedener Galerien aus beiden Städten statt. So nah war Paris den Berlinern selten... Und nächstes Jahr New York...
Mehr Texte von Thomas Wulffen †

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