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John Bock - FischGrätenMelkStand: Apotheose oder Apokalypse?

Es ist ein fast schon grandioses Abschiedsfest, als wollten die Verantwortlichen für die temporäre Kunsthalle den Berlinern noch mal sagen, was da zu Ende geht. Master of Ceremony ist John Bock und er weiß, was er sich und dem Publikum schuldig ist. In die weiße Box hat er eine Ausstellung gesetzt, die alle zugleich sein will: Jahrmarkt, Zirkus, Museum, Galerie und Kino. Dabei geht die Ausstellung ebenso in die Tiefe wie in die Höhe.

Der Boden der Kunsthalle wurde für das Projekt wirklich aufgebrochen, um in den tieferen Schichten tiefere Schichten zu entdecken. Zuweilen gilt das auch für die Ausstellung. Selbst in den höchsten Höhen bietet sie einen Blick auf das flache Dach und eine Ahnung davon, dass man von der gleichen Höhe in ferner Zukunft die oberen Stockwerke des Schlosses hätte gesehen haben können. Am besten geht man in die Ausstellung mit einem Plan, der vor der Tür verteilt wird. Es könnte sein, dass der Besucher die Orientierung verliert. Denn nicht nur das Raumgefüge ist hier durcheinander, auch die Medien zeigen sich unspezifisch. Plötzlich taucht da Edgar Varèse auf mit Tonbeispielen, aber auch eine Hommage an Raimund Harmstorf, ehemals berühmter Seewolf in der gleichnamigen Verfilmung. Da darf dann auch nicht ein Zigarettenstummel von Jane Russel fehlen ebenso wenig wie der Umlauftank 2 der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau (VWS), Berlin (1968–1975) von Ludwig Leo. Da bekommt die erwähnte Bohrung in den Untergrund von Adrian Lohmüller seine Bedeutung erst nach dem Rundgang.

Tatsächlich handelt es sich hier um ein Ausstellungsprojekt, das die gewohnten Ansichten hinter sich lässt und auf neue Ufer sein Augenmerk lenkt. War da nicht irgendwo eine kurze Notiz von Einstein zu erblicken? Und gerade rechtzeitig sieht man im Modell die Wohnanlage mit Atelierturm von John Hejduk von der Internationalen Bauausstellung 1987, die gerade zur Disposition gestellt wird. Das kann der temporären Kunsthalle nicht mehr passieren, denn ihre Zeit ist abgelaufen. Und so manch einer weint ihr noch nicht einmal eine Träne nach. Schließlich holt Udo Kittelmann jetzt auch die 'jüngeren' Künstler wie Thomas Demand in die Halle der Neuen Nationalgalerie. Die Logik dahinter ist allerdings nicht überzeugend: Wenn die angestammten Institutionen die Funktionen einer Kunsthalle übernehmen, dann braucht es keine weitere ähnliche Institution. Mit derartigen Argumentationen macht man es sich allerdings zu einfach. Erst eine andere neue Institution kann für jenen Wettbewerb sorgen, der für die Stadt Berlin notwendig und wünschenswert ist. Und die Ausstellung von John Bock ist dann auch ein geschickter Doppelpack zum sogenannten 'Humboldtforum' am selbigen Platz. Man wird sich daran erinnern an den 'FischGrätenMelkStand', dann.

Mehr Texte von Thomas Wulffen †

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John Bock - FischGrätenMelkStand
02.07 - 31.08.2010

Temporäre Kunsthalle Berlin
Berlin, Schlossplatz
Tel: +49–30–25 76?204–0, Fax: +49–30–25 76?204–19
Email: office@kunsthalle-berlin.com
http://www.kunsthalle-berlin.com


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