Werbung
,

Proktatur des Diletariats

Die letzten drei Kulturglossen des „Standard“ galten den Lugners, der Fiona und der Bierdose. Nun gilt Carl Andres berühmte Maxime „Art is what we do, and culture is what is done to us“ zweifelsohne überall und ohnedies, und so sind speziell Madame Grasser und Monsieur Mörtel Zufügungen und Zumutungen von deutlichster kultureller Dimension. Sich über sie lustig zu machen stellt an den Geist keine allzu großen Herausforderungen. Entsprechend sind sie ein wunderbares Thema auch für unsereinen. Richard Lugner und die amerikanische Schauspielerin Nicolette Sheridan, KHG und Fiona Fiona Pacifico Griffini-Grasser Sagen wir es, kulturell ausgedrückt, so: Sie sind Dada. Dada war immer schon undenkbar ohne Klamauk, und so ist zum Beispiel die Gründungsszene von Berlin Dada von herzerfrischender Dämlichkeit. Während eines Gottesdienstes am 17. November 1918 im Berliner Dom ließ sich Johannes Baader, der sich selbst den Oberdada nannte, mit einem brüsken „Jesus Christus ist uns Wurscht“ vernehmen. Voraussehbarer Weise wurde er daraufhin vom Ort entfernt, er ließ indes die Sache nicht auf sich beruhen, sondern beförderte sie per Leserbrief in die Sphären von öffentlicher Wirksamkeit. Dada war die erste Manifestation einer Einsicht, die sich mit der Moderne die Bahn gebrochen hat: Dass Spektakelkultur nichts, aber auch überhaupt nichts mit der Qualität des etwaig Mitgeteilten zu tun hat, sondern die pure Feststellung des „Es gibt mich, ich bin es, der sich hier wichtig macht“ in die Menge trägt. Dada hat gewisse Mechanismen dessen, was heutzutage das Prinzip Prominenz umgibt, vorab einmal ausgelotet. Dass dabei der Anteil des Nonsens größer ist als jener der Kommunikation von Sinn, ist heute ein eher unfreiwilliges Ergebnis. Damals, bei Dada, war es die Arbeitsgrundlage. Damals war Dada noch Dada. Heute ist es vor allem Gaga. Ein anderer der Berliner Spaßvögel war Raoul Hausmann. 1918 hatte er seine „Plakatgedichte“ affichiert. Es waren bedruckte Papiere, auf denen in unbestimmter und jedenfalls keiner Logik von Lesbarkeit folgender Reihenfolge Buchstaben und Satzzeichen zu sehen waren, die pure Darbietung orthografischer und drucktechnischer Primärformen, das Angebot zu einer Kommunikation, deren Botschaft in der Verweigerung bestand. Im Jahr 1919 schrieb er ein Gedicht mit dem Titel „Humanismus“. Die Schlusszeilen dieser Ode an die Menschheit und ihre unsterblichen Kompetenzen gehen so: „Säge die Beine ab – denn der Hintern ist König/in der Proktatur des Diletariats.“ Die neue klassenlose Gesellschaft, die gerade in Österreich herausragende Proponenten besitzt, hat das Prinzip der Tyrannei auf den Kopf gestellt. Das Diletariat ist an der Macht. Richard heißt ihr König. Wie der Hintern heißt, entscheidet der Hofstaat. Es lebe die Proktatur.
Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: