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cubiCZmus! Die Dekonstruktion der Moderne in Prag: Asche und Diamant

Die zierliche Belle-Epoque-Dame auf dem Werbeplakat will gar nicht recht zu der Architektur hinter ihr passen. Ein unglaubliches Ding ist das Kurhaus, das Josef Gocár 1912 ins böhmische Lázné Bohdanec stellte. Dass es aussieht wie ein Stummfilm-Set der frühen Zwanziger, liegt an der leichten stilistischen Verwertbarkeit des böhmischen Architekturkubismus, der freilich weit Größeres im Sinn hatte: die Rückführung der puren Materie auf kristallin-prismatische Grundformen. Ein großes Thema der frühen Moderne, etwa bei der "Gläsernen Kette". Hier ging es zusätzlich um die Definition eines spezifisch tschechischen Stils, getragen vor allem von Otto-Wagner-Schülern, die dessen Forderung nach Materialgerechtigkeit allerdings entschieden ablehnten. Wo man nicht mit einem ganzen Gebäude wie dem Prager "Diamant-Haus" in die Vollen gehen konnte, bot "eine Schale oder eine Kanne die Gelegenheit einfacher dramatischer Situationen, Aktionen und Reichweiten, z. B. Enthalten, Umfangen usw., welche durchwegs die Möglichkeit geben, unsere kubistische Ansicht von der Materie und dem Umfang der Materie zu verwirklichen", schwärmte Pavel Janák. Einige dieser dramatischen Kannen, kristallinen Keksdosen, gefalteten Kleiderkästen und kubistischen Aschenurnen zeigt nun die PSK, die dafür auf die erstklassigen Bestände des Prager Museums für Angewandte Kunst zurückgreifen konnte. Sind die Objekte dort in Gocárs Haus zur schwarzen Mutter Gottes adäquat präsentiert, so bietet in Wien die Kombination mit der entmaterialisierten Architektur Otto Wagners spannende Wechselwirkungen. Da knicken sich Beine, falten sich Fassaden und schieben sich Schubladen expressiv herum, alles scheint in Grotesktanz-Posen eingefroren zu sein. Die geplagten Tischler mussten zusätzlich Versteifungen einsetzen, um die Objekte zu sichern. Die böhmische Gotik mit ihrer Tendenz zur Negation der Statik stand Pate. Der Architekturkubismus wurde letztlich zur Keimzelle des tschechischen Werkbundes, wenige Jahre später ging er im böhmischen Funktionalismus auf. Gocárs "Grand Café Orient" im Haus zur schwarzen Mutter Gottes wurde vor einigen Jahren sorgfältig rekonstruiert und erfreut sich ebenso großer Beliebtheit wie die Repliken der Keksdosen und Aschenbecher, die man im Shop verkauft. 100 Jahre nach seiner Entstehung ist der tschechische Kubismus ein fester Teil der Architekturgeschichte.
Mehr Texte von Iris Meder †

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cubiCZmus! Die Dekonstruktion der Moderne in Prag
30.06 - 29.08.2009

WAGNER:WERK Museum Postsparkasse der BAWAG P.S.K.
1018 Wien, Georg-Coch-PLatz 2
Email: m.pasterk@signa.at
http://www.ottowagner.com
Öffnungszeiten: Mo-Mi, Fr 8-15, Do 8-17:30, Sa 10-17 Uhr


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