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Antony Gormley: Bunker für das Kollektiv

Die Einwohner von Malmö haben sich selbst vermutlich nie zuvor so diszipliniert im Karree stehen sehen wie in „Allotment II“. 300 Personen aus der südschwedischen Stadt, eineinhalb bis achtzig Jahre alt, hat Antony Gormley vermessen und ihre Körperarchitekturen neu gebaut. Einzige Überbleibsel der Individualität sind Körpergröße und -öffnungen – Mund, Ohren, After, Nasenlöcher –, die auf die kantigen Betonbunker übertragen wurden. Wie eine gesichtslose, wuchtige Armada stehen die Malmöer jetzt im ersten Obergeschoß des Kunsthaus Bregenz und zeugen von der Beschäftigung des britischen Bildhauers mit dem menschlichen Körper als Individuum und Kollektiv, als Hülle und dann doch Kern der Existenz. Zeitgleich zur Ausstellung wollte Gormley die Landschaftsinstallation „Horizon Field“ verwirklichen, bei der, ähnlich wie 1997 im Wattenmeer vor Cuxhaven, Eisenabgüsse seines Körpers, diesmal 100 an der Zahl, in einer horizontalen Linie auf ca. 2000 Metern Seehöhe und rund hundert Quadratkilometern der Arlbergregion aufgestellt werden sollten. Komplizierte Genehmigungsverfahren haben das Projekt verzögert, geblieben sind vier wichtige Werkgruppen aus den vergangenen 15 Jahren im Kunsthaus, darunter „Critical Mass“ von 1995: Der Körper wird hier zum Gefäß für traumatische Erinnerung, vielleicht an Folter und Krieg, vielleicht auch schlicht an die ihm ureigene Vergänglichkeit. In sich wiederholenden Posen sind immergleiche gusseiserne Figuren über den Raum verstreut, sie hängen von der Decke, kauern wie Büßer am Boden, schmiegen sich in umgelegter Sitzhaltung ins Eck’ und kumulieren in der Mitte zu einem grausam-grotesken Haufen. Dagegen versprühen die tonnenschweren Gebilde „Body“ und „Fruit“, für die ein Schwimmer in Startposition Modell stand, beinahe so etwas wie Leichtigkeit. Was vom Körper übrig blieb ist ein unförmiges, knapp über dem Boden schwebendes Pendel, ein seltsamer Planet. Gormleys Versuche, den Betrachter in seine bildhauerischen Ideen zu verwickeln, fruchten mal auf metaphysischer, mal auf konkret körperlicher Ebene. In „Clearing V“ (2009) hat sich ein Aluminiumrohr von gigantischem Ausmaß im Raum verfangen, ganz so, als hätte es jemand eng zusammengeknäuelt und dann plötzlich losgelassen, worauf es sich explosionsartig bis an die Mauern der Zumthor’schen Architektur ausdehnte. Und da muss man jetzt durch: Labyrinthische Hindernisläufe scheinen ein wenig in Mode zu sein – man denke an Tomas Saracenos spinnwebenartiges Geflecht im Hauptpavillon der venezianischen Giardini, das allerdings wenig mehr als fröhliches Durchturnen verlangt. Vor allem Rohheit und Spannkraft des Materials verleihen „Clearing“ doch eine etwas andere Qualität. Die Verrenkungen bleiben letztlich doch dieselben.
Mehr Texte von Ivona Jelčić

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Antony Gormley
12.07 - 04.10.2009

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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