Andrea Winklbauer,
Festival du Film Maudit, Biarritz 1949
Filmfestival revisited
Wer kennt nicht die Cahiers du Cinéma? Diese – einstmals – einflussreiche Filmzeitschrift, aus deren Kritikerreihen in den Fünfzigern des 20. Jahrhunderts die Regisseure der Nouvelle Vague hervor gingen? François Truffaut, Claude Chabrol, Eric Rohmer, Jacques Rivette und Jean-Luc Godard waren bekanntlich in der Redaktion der Cahiers tätig, bevor sie die Theorie gegen die Praxis eintauschten. Was weniger bekannt ist: Zur Vorgeschichte der Gründung der Kinohefte gehört der Filmclub „Objectif 49“, dem u. a. Jean Cocteau, Robert Bresson, Alexandre Astruc und – als Ehrenmitglied – Orson Welles angehörten. Dieser Filmclub zeigte nach dem Zweiten Weltkrieg Programme jenseits des Mainstreams in Paris und rief 1949 in Biarritz das „Festival du film maudit“ ins Leben.
Wie sich dem – selbstverständlich bei Mallarmé abgeguckten – Namen leicht entnehmen lässt, war das „Festival du film maudit“ dazu erfunden, von den Produktionsfirmen „verworfene“, bei der breiten Masse erfolglose Filme (noch einmal) vorzulegen. Mit Jean Cocteau in der Rolle des Präsidenten wurden vom 29. Juli bis zum 5. August 1949 im schicken Casino des südfranzösischen Nobelbadeortes also „verdammte“ Filme gezeigt – und damit der Topos des „poète maudit“, des verfemten Dichters, auf den Filmemacher umgemünzt.
Überflüssig zu erwähnen, dass eine Reihe der damaligen Geheimtipps für Freaks heute ihren Platz in der Filmgeschichte haben: Wer würde die individualistische Prägnanz von Luchino Viscontis Leidenschaftsdrama „Ossessione“ (1943) oder Slatan Dudows Berliner Proletarieroper „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt“ (1932) bestreiten? Wer gegen die beachtlichen gestalterischen Extravaganzen von Robert Bressons „Les Dames du Bois de Boulogne“ (1945) und Josef von Sternbergs „The Shanghai Gesture“ (1941) aufbegehren oder die zeithistorische Aussagekraft des Flüchtlingsfilms „Die letzte Chance“ (1945) des emigrierten Wieners Leopold Lindberg und des Widerstandsdramas „La Bataille du Rail“ (1946) von René Clément negieren? Oder sich der zeitlosen Schönheit von Jean Vigos proto-neorealistischer Liebesgeschichte „L’Atalante“ (1934) entziehen? Ganz zu schweigen von Kenneth Angers „Fireworks“ (1947), der amerikanischen Ikone des Underground-Films.
Festival du Film Maudit, Biarritz 1949
5. bis 15. Juni 2009
Österreichisches Filmmuseum, Wien
www.filmmuseum.at
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