Rainer Metzger,
Angst
Die Hiobsbotschaften häufen sich. Der FC Bayern hat Jürgen Klinsmann entlassen, die Schlauberger vom Kapitalismus kommen im ersten Quartal dieses Jahres schon wieder ihrem Renditeziel von 25 Prozent nahe, und die blühenden Bäume steigen einem in die Nase. Jetzt schicken uns die Schweine auch noch die Grippe.
Pünktlich zum Geburtstag von Tschernobyl hat die Angst das Abendland wieder fest im Griff. „La grande peur“, wie man den sozialen Faktor nannte, der die französische Revolution auf den Weg brachte, ist längst zum Menschenrecht geworden, und je weniger man sieht von den Viren, den Atomen oder den faulen Krediten desto machtvoller drängen sie sich in die Hirne. Das pure Entsetzen dominiert die Schlagzeilen, und das hat nichts mehr von barocker Melancholie oder Jahrhundertwende-Weltschmerz. Angst ist individuell und emanzipatorisch: Jeder spielt auf seine Weise Opfer, und weiß man erst um die Wirkkraft des Viktimismus, kann man ungeniert die Sau rauslassen.
Seit 1995 hält der Amerikaner Fredd Culberton unter www.phobialist.com eine Website am Laufen, die sich um die Phobien, wie sie in den Eingeweiden rumoren, kümmert. Von Ablutophobie, der Furcht vor dem Waschen, bis Zoophobie, der Panik vor Tieren, listet sie vielhundertfach auf, was diesbezüglich bio-, psycho- und pathologisch dingfest zu machen ist. Als Verfasser bzw. Leser dieser Zeilen könnte man an Graphophobie, den Manschetten vor Geschriebenem, leiden, die Furcht vor der Fröhlichkeit nennt sich Cherophobie, aber am besten man hält sich gleich von der Panphobie gepackt, der Angst vor allem. Leben gefährdet in der Tat die Gesundheit.
Keine Hoffnung? Doch. Der Tag der Eröffnung der Vienna Art Fair rückt näher und der Tag der Ablösung der Ministerin Schmied. Erwin Wurm will sich wieder mehr auf seine Arbeit konzentrieren und weniger auf die Produktion für Kunstmessen. Yilmaz Dziewior wird neuer Direktor des Kunsthauses Bregenz und das auch noch mit einer Promotion „summa cum laude“. Die Kunstberichterstattung der „Presse“ hat jetzt einen Mag. Phil.
„Sapere aude!“, heißt es bei Kant. Nur so kann der „Mangel der Entschließung und des Mutes“ überwunden werden. Die Kultur macht es wieder einmal vor. Und eine Ikonophobie gibt es auch nicht.
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