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In der Spielhölle der Apparatewelt

Einen weiteren Markstein plausibler Kulturentwicklung setzte Linz mit der Eröffnung des neuen Ars Electronica Center, das jetzt seiner Dimension nach endlich einem Zentrum für Medienkultur entspricht. Was bisher durch Designzitate aus den globalen Zonen des Transfers und der Mobilität im Foyer bloß angedeutet war, eröffnet sich nun real als großzügiges Flächenangebot einer Kunsthalle für digitale Kultur. Rund 1000 Quadratmeter umfasst allein die unter der neu geschaffenen Open Air Veranstaltungsfläche neben dem erweiterten Hauptgebäude liegende unterirdische Main Gallery. In der fensterlosen Kubatur mit Abstufungen und Segmentierungen zur zeitgemäßen Medienpräsentation lösen variable intime Situationen offene Wegstrecken ab. Medial gelegentlich als „Wunderkammer“ apostrophiert, präsentiert das neue AEC zum Auftakt eine Großausstellung zum Feld der Lifesciences. Für eine Positionierung mit diesem Thema, dessen enorme Relevanz das Ars Electronica Festival schon unter Headlines wie „Memesis“ (1996), Fleshfactor (1997) oder Lifescience (1997) reflektierte, spricht allein das enorme Publikumsinteresse. Mit der Erweiterung des AEC gilt es auch einen dauerhaften Attraktor mit stets neuen Aufmerksamkeitsmodulen zu laden, was für eine diversifizierte Mittelstadt wie Linz stets mit besonderen Anstrengungen verbunden ist. Das Konzept eines Bildungsparcours unter dem Titel „Neue Bilder vom Menschen“ zu einem für die Gesellschaften der Zukunft derart signifikanten und von massiven wirtschaftlichen Interessen geleiteter Forschungszweig, geriet allerdings etwas zu sehr in Richtung Leistungsschau zum Bereich „Faszinosum Technik“. Zwar werden ethische und ökonomische Fragen berührt, doch evozieren Robotermodelle, Gehirnstromübersetzungen, virtuelle Zellsysteme und eine Station zur eignen Netzhautvermessung stellenweise allzu linear strukturierte Konstruktionen von Fortschritt. Künstlerisch gestaltete Kontrapunkte, welche die Ausstellungen des Ars Electronica Festivals gewöhnlich prägen, hätten dieser Eröffnungsausschau durch kritische Momente mehr Drall versetzen können. Ein kleinteilig kammermusikalisch inszeniertes Kontrastprogramm dazu bieten die Präsentationen auf den Ausstellungsebenen des alten Gebäudetrakts. Es entspricht dem Faktum, dass wir das Zeitalter Neuer Medien längst überholt haben. Hier werden die Entwicklungen des medialen Avantgarde Unernehmens ART + COM in einer Retrospektive der letzten 20 Jahre fein säuberlich aus Holzkisten entpackt, was auf die Geschichte der Umsetzung diffiziler Produktionen im Schnittfeld von Kunst und Technologie Bezug nimmt; beginnend übrigens in der unvorstellbaren Vorzeit ohne Internet und e-Mail. Anschließend dann: zurecht auratisch inszenierte Meisterwerke digital gesteuerter Feinmechanik wie etwa die von Jeff Lieberman und Dan Paluska konzipierte Marimba und Trink-Glas spielende Installation „Quartett“ aus Dutzenden Roboterteilchen. Als weitere Neuerung wurde im Erdgeschoß mit dem „Deep Space“ einem Desideratum gegenwärtiger Medienkunst entsprechend eine individuell gestalt- und bespielbare Raumsituation zur digitalen Verschaltung von Sound, Bild und Architektur eingerichtet, was neue Potentiale für Kunstproduktionen basierend auf Projektionen mit Sound eröffnen dürfte. Des Nachts an der Außenfläche als dynamische LED-Skulptur bespielbar finden sich mit dem erweiterten Ars Electronica Center somit jene Paradigmen visionären Denkens materialisiert, mit denen sich Linz bereits drei Jahrzehnte in die Gegenwartskultur einschreibt. Auf die Dynamik, welche diese Maschine der Medienkultur weiterhin entfaltet, kann man gespannt sein.
Mehr Texte von Roland Schöny

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