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Die Kunst und die Wirklichkeit - ein Rundgang durch Berliner Galerien

Die Berliner Galerienszene über ein Wochenende möglichst komplett in Augenschein zu nehmen, ist ein Unternehmen besonderer Güte. Es lässt sich wohl nur realisieren, wenn man auf ein Taxi zurückgreift, sich Flügel wachsen lässt oder das ‚in Augenschein nehmen’ wörtlich fasst. Das aber widerspräche wohl der Kunst und ihrer Betrachtung, wenn man jeder Ausstellung in einer Galerie nur zehn Minuten zubilligen würde. Das mag in einigen Fällen seine Berechtigung haben, sei es weil die Kunst nicht überzeugend ist oder die Galerie mit einem kleinen Zimmer auskommt. Aber wo und wie machen wir Entdeckungen oder wie lange lassen wir uns emotional bewegen durch ein Kunstwerk? Es gibt allerdings eine Art Ausweg im Falle des Galeriestandorts Berlin: man nimmt sich nur ein Quartier und deren Galerien vor. Das lässt sich auch einfacher realisieren als der Galerien-Besuch nach eigenem Geschmack oder Interesse. Letzteres mag dazu dienen, seinem eigenen Geschmack in die Falle zu gehen oder ihn durch Augeschein wieder zu bestätigen. Der andere Weg, Quartieraugenschein statt Quartiermanagement, hält einem dann dafür noch Überraschungen bereit wie bei der Galerie Michael Janssen in der Rudi-Dutschke-Str. im ehemaligen Kreuzberg 36. Plötzlich steht einem Thomas Grünfeld in persona gegenüber, der seine Ausstellung scheinbar selbst bewachen will. Seine Tierskulpturen haben immer noch etwas von einem Panoptikum, obwohl man doch viel lieber eine Kritik an Genmanipulation sehen will. Und im hinteren Bereich tauchen dann die Werke von Julieta Aranda auf, deren Namen ich schon öfter gelesen, deren Werke dagegen noch nicht wahrgenommen habe. Die Ausstellung trägt den schönen Namen ‚Publick Occurrences both foreign and domestick’, benannt nach der ersten amerikanischen Tageszeitung, die am 25. September 1690 in Boston erschien. Um diese Zeitung herum hat Aranda Objekte und Installationen entwickelt. Eine Sonderausgabe von der Zeitung, von der Künstlerin hergestellt, kann nach Nachfrage betrachtet werden. Aus dieser Betrachtung wird so eine Performance, die Teil der Ausstellung wird. Ansonsten aber ist die Auswahl im Galeriehaus an der Strasse mit dem Doppelnamen eher trist. Jablonka zeigt James Rosenquist, Malerei mit rotierendem Spiegel, etwas für die höheren Etagen am Potsdamer Platz. War es deswegen so leer in der Galerie? Da ist man da schon besser aufgehoben in der Mkgalerie im gleichen Haus mit Arbeiten von Ming Wong, geboren in Singapur, zeitweilig in London beheimatet und jetzt in Berlin. Sein Werk entsteht aus der Spannung zwischen Assimilation und Appropriation. Dazu gehört auch zum Beispiel das Reenactement von Fassbinders ‚Angst essen Seele auf ‚ (1973). Dabei lernen beide Seiten etwas, das Rollenspiel im Film verweist auf das ‚Rollenspiel’ des gewöhnlichen Mitteleuropäers in einer multikulturellen Umgebung. Allerdings wird man von der Materialmenge in der Ausstellung am Ende fast erschlagen. Man verlässt das Gebäude mit dem guten Gewissen, nicht allzu lange auf die Gemälde von Norbert Bisky geschaut zu haben (Crone Galerie). Ein Wechsel in die Markgrafenstrasse bietet sich an, die Rudi-Dutschke Strasse überqueren und schon findet man sich bei Carlier–Gebauer vor einer schönen Arbeit von Paul Pfeiffer. Projiziert auf eine Holzwand, sieht der Betrachter den Flur eines neoklassizistischen Korridors mit Rednerpult. Wer auf die Bildwand zugeht, entdeckt ein kleines Loch in der Wand, von dem aus sich der Korridor in einer seitlichen Sicht sehen lässt, plus Rednerpult. Es handelt sich dabei um das Rednerpult des amerikanischen Präsidenten. Der Blick der Überwachungskamera ist gleichzeitig real und fiktiv. Die anderen Arbeiten nutzen die digitale Videotechnik bis an ihre Grenzen, aber zuweilen leidet daran die Kunst selbst. Befreien von diesem Anspruch kann sich der Betrachter in der Galerie Barbara Thumm. Sie zeigt in einer gemeinsamen Ausstellung mit der Galerie Michael Wiesehöfer den kubanischen Künstler Diango Hernandez. In seiner Ausstellung in der Markgrafenstrasse darf der Betrachter das Werk zerstören, um das Werk zu sehen. ‚Shooting the light’ benennt diesen Akt ziemlich genau, auch wenn die Waffe keine Kugel, sondern ein mehr oder minder gewöhnlicher Stein ist, der auf eine Reihe von Glühlampen gerichtet wird, um diese zu zerstören. In dem dann dunklen Raum aber lassen sich die Collagen nicht mehr wahrnehmen, sodass hier eine doppelte ‚Auslöschung’ stattfindet. ‚Erleuchtung’ konnte man angesichts der Ausstellung ‚Medien’ in der CUC Berlin Galerie, die einzige Galerie mit einem thematischen Zugriff auf das zum Verkauf angebotene Material. Verantwortlich für die thematische Eingrenzung zeigt sich Hans-Jürgen Hafner und sein Text zur Ausstellung beginnt mit der Frage ‚Welches besondere Versprechen liegt eigentlich der Übereinkunft ‚Kunst’ zu Grunde, weshalb wir Ihr aller Kritik am Konzept wie seinen Idiomen zum Trotz nach wie vor einen Sonderstatus, gar eine Wirklichkeit einräumen?’ Vielleicht deshalb, weil die Übereinkunft Kunst einem die Möglichkeit gibt, diese Frage zu stellen. Fraglos bleibt man allerdings zu selten und das wäre schließlich auch eine Dimension von Kunst. Ein Zipfel davon erlebt der Besucher in der Ausstellung mit Werken von Matt Mullican bei Klosterfelde in der Zimmerstrasse: eine Art Retrospektive oder ein Blick in die Werkstatt. Das must see dieser Herbstsaison. Vorne an der Zimmerstrasse bei Hetzler das Gegenteil dazu: sagen wir es mal so, schwarz-weiße Urlaubsbilder aus Venedig von Vera Lutter. Material diesmal für die Hotellobby. Da gehen wir doch gleich zum ‚Conceptstore’ von Stephan Schneider und seinen Studenten, Kleidung und Accessoires für den Lifestyle bei der Bourouina Gallery. Kunst am Ende!?
Mehr Texte von Thomas Wulffen †

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