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Blood on Paper. The Art of the Book: Mehr Stoff als Lektüre

Der mit 25.000 Euro dotierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht dieses Jahr an Anselm Kiefer. Im Herbst wird er im Rahmen der Frankfurter Buchmesse verliehen, die Begründung für die getroffene Wahl lautet folgendermaßen: "Die starke Resonanz seines Werks beruht auf der Fähigkeit, für die zeitlosen und für die akuten Themen, die Anselm Kiefer behandelt, eine Bildsprache zu entwickeln, die aus dem Betrachter auch einen Leser macht." Es mag dahingestellt sein, wie einzigartig diese Leistung nun tatsächlich ist (oder wie sehr diese Formulierung dem geehrten Oeuvre gerecht wird), die Zeit, in der man um die Zukunft des Buches bangen musste, scheint jedenfalls schon wieder weit zurück; statt der befürchteten Verdrängung durch das Internet lässt sich vielmehr eine Rückbesinnung auf die stofflichen Qualitäten des Mediums beobachten. Dies führt mitunter zu aufwendigen und kostspieligen Sondereditionen, die das bibliophile Herz erfreuen, und der Kunstbuchsektor nimmt diese Entwicklung (oft ja auch berechtigt) zum Anlass, die Preise ordentlich in die Höhe zu treiben. In London laden derzeit ein einschlägiger Verlag und ein deutsches Bankunternehmen, die beide mit einer Vielzahl der vertretenen Künstler kooperieren, wohl nicht ganz uneigennützig ins Victoria & Albert Museum zu einer Ausstellung von Künstlerbüchern ein. Am Beginn der überschaubar bespielten Kabinette treffen wir sogleich auf eine für Kiefer geradezu bescheiden kleine Plastik, „The secret life of plants“ (2008): ein quasi hochkant aufgestelltes Buch aus bleiernen Seiten, die mehr oder weniger geöffnet sind, doch zum Lesen eignet sich dieses Werk eher im metaphorischen Sinne. Und das ist auch die Krux dieser Schau. Während bei Kiefer eine wortwörtliche Lektüre nicht möglich ist, aber immerhin die einzelnen Seiten erspäht werden können, beschränkt sich die museale Präsentation der anderen Arbeiten zumeist auf lediglich eine (Doppel-)Seite. Manchmal sind noch Einband, Schuber o.Ä. beigefügt, aber das, was dieses spannende und in der Umsetzung so vielseitige Betätigungsfeld ausmacht, das individuelle Zutun, das Lesen und Blättern, wird durch Vitrinen und Wärter verhindert. Ob nun die grafischen Illustrationen zu „Wuthering Heights“ von Balthus (1993), Cai Guo-Qiangs „Danger Book: Suicide Fireworks“ (2006), Ed Ruschas Fotobücher oder auch seine der Ausstellung den Titel gebende Publikation „Stains“ (1969), in der mit viel Ironie neben vielen anderen Substanzen eben auch Blut katalogisiert ist, sie alle enthüllen nur pars pro toto. Ausnahmen in dieser Rubrizierung bilden zum einen die skulpturalen Arbeiten, z.B. Anish Kapoors mit Laser gemeißelten Papierblöcke („Wound“, 2005), überproportionierte statt provokative Devotionalien-Arrangements des „New Religion“-Komplexes (2005) von Damien Hirst oder auch Anthony Caros „Open Secret“ (2004), dessen stilisierte Buchverkleidungen trotz Bezugnahme auf Shakespeare und Enzensberger in erster Linie eine formale Lesart nahelegen. Zum anderen bildet das als „Detritus“ bezeichnete, faszinierende Sammelsurium aus dem Nachlass Francis Bacons, das Fotografien, Skizzen und Notizen in einem Koffer vereint, eine Insel in diesem stillen Meer aus großteils verschlossen bleibenden Artefakten.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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Blood on Paper. The Art of the Book
15.04 - 29.06.2008

Victoria & Albert Museum
SW7 2RL London, Cromwell Road
Tel: +44 (0)20 7942 2000
http://www.vam.ac.uk
Öffnungszeiten: täglich 10-17.45 h, Mi 10-22 h


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