rückgratlos: Nicht nur Stubenhocker

Sitz- und Stehhilfe, Trittleiter, Wäsche-Stauraum, Herrschaftszeichen, Beistelltisch, Kopfstütze und Fußablage: das Objekt Hocker scheint geradezu prädestiniert für funktionale Schnittmengen zu sein. Hocker des 20. Jahrhunderts präsentiert "Rauminhalt", wobei erstaunlich viele auf Archaisches zurückgreifen, etwa auf afrikanische Zeremonialschemel oder altägyptische Pharaonensitze, die ewigen Idealbilder auch von Entwerfern der Moderne wie Adolf Loos und Josef Frank. Deren zeitgenössische Versionen des Archetyps "Theben-Hocker" sind ebenso zu sehen wie Achille Castiglionis legendärer Traktorsitz-Interpretation "Mezzadro" und ein Thonet-Stahlrohrexemplar von Marcel Breuer, während andere Legenden wie Max Bills Ulmer Hocker fehlen. Zahlreiche zu erwerbende Exemplare werden vor allem aus den umfangreichen Sammlungen von Johannes Spalt und Luigi Blau um unverkäufliche ergänzt. Mit Grauen mag man sich an die goldgeprägten "Kamelhocker" der Siebziger erinnern - die Ausstellungsbesuchern erspart bleiben. Wo sind die unzähligen Exemplare eigentlich geblieben? Im Hockergrab? Nein, das war ja keltisch. Man gerät jedenfalls schnell ins Grübeln angesichts all dieser Hockersemantik, die vom Höchsten - bei afrikanischen Herrschern - bis zum niedrigsten - der Sitzordnung am französischen Hof ds Absolutismus - reicht und allemal Spielraum sowohl für die minimalistische Bescheidung Bills wie für den Reduktions-Glamour Breuers und die schlichte Praktikabilität von Thonet-Bugholz ließ, daneben aber auch spazierstockartige oder hutkofferähnliche Outdoor-Klapp-, Falt- und Ausziehhocker durchdachtester Art umfasst. Der Ausstellungstitel "Rückgratlos" muss vor diesem Hintergrund wohl provokativ verstanden werden, denn Rückgrat haben diese Kleinmöbel allemal. Bestenfalls ihre Benutzer könnten sich als nicht ausreichend wirbelsäulenfest erweisen.

Mehr Texte von Iris Meder †

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rückgratlos
23.11 - 15.12.2007

rauminhalt - space & content
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