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Slapstick, melancholisch

Im Französischen bedeutet "tatillon" pedantisch, übertrieben gewissenhaft, genau, und so wurde Jacques Tati (1907-1982), eigentlich Tatischeff, auch des Öfteren genannt; kein Wunder eigentlich, bei einer Bilanz von fünf eigenen Spielfilmen in rund 20 Jahren muss schon eine recht ausgeprägte Präzision am Werke gewesen sein, die dem Resultat auch durchaus anzusehen ist. Tati hat diese bereits in frühen Jahren durch seine Leidenschaft für den Sport gewonnen, sein außergewöhnliches Talent zu einer sehr körperlichen, pantomimischen Komik brachte ihn bald auf die Bühne. Doch Tati wollte zum Film, und nach der Übernahme einiger Rollen entstehen ab Mitte der 30er Jahre ein paar eigene Kurzfilme, in denen er bereits jener "ungelenk-elastische Fremdkörper" (Bert Rebhandl) ist, den das amüsierte Publikum liebt, der aber genauso einen vereinzelten, zugleich gewöhnlichen kleinbürgerlichen Antihelden darstellt. 1949 erscheint der erste Spielfilm (und nebenbei der erste französische Farbfilm) Jour de fête (Tatis Schützenfest), dessen - magere - Handlung noch aus den früheren Sketches stammt: Ein Briefträger radelt durch ein Provinznest, Heile-Welt-Idylle trifft leise Zivilisationskritik, im Vordergrund aber stehen die kleinen, satirisch zur Schau gestellten Marotten der Dorfbewohner und -bewohnerinnen, die Damen nämlich bekommen ihr Fett, so scheint es, besonders ab: Groteske Kostümierungen, penetrantes Gehabe, dümmliches Buhlen um Anerkennung - oftmals werden die Frauenfiguren der völligen Lächerlichkeit preisgegeben, die positiv gezeichneten Ausnahmen sind vom Typ unschuldig, naiv, farblos. Doch war Tati wirklich reaktionär, ein Gegner der Emanzipation? Vielmehr scheint eine nostalgisch verklärende Melancholie die Natürlichkeit eines Kindes, die unberührte Natur oder auch das alte, charmante Paris in Opposition zu stellen zu den pervertierten Mechanismen eines hohlen Gesellschaftsspiels, zu der unterkühlt-modernistischen Arbeitswelt und Architektur, wie es in dem 1959 oscarprämierten Film Mon Oncle oder - weitaus opulenter - in Playtime (Herrliche Zeiten, 1967) so grandios illustriert ist. Mit Rousseau im Kino, möchte man meinen. Schon beim ersten Auftritt von Monsieur Hulot, Tatis linkischer, Hut und Hochwasserhosen tragender, durch das Pfeiferauchen meistens am verständlichen Konversieren gehinderter, vornübergebeugt stacksender Kunstfigur in Les Vacances de Monsieur Hulot (Die Ferien des Monsieur Hulot, 1953) wird in dem so harmlosen Ambiente einer Sommerurlaubskulisse die Gekünsteltheit einer Gesellschaft vor Augen geführt, in die sich trotz aller Bemühtheit ein Andersartiger wie Hulot (dessen Authentizität sich gerade in dieser Ausweglosigkeit bewahrt) nur schwer integrieren kann - aus diesem im Grunde tragischen Konflikt speist sich die Komik in Tatis Filmen. Ein besonderer Kunstgriff, dessen sich Tati hierbei oftmals bedient, ist der wahrlich außergewöhnliche, witzige wie gewitzte Umgang mit dem Ton: Das ständige Quietschen einer Tür, das groteske Geräuschrepertoire diverser Haushaltsgeräte oder auch eines Sitzmöbels sind oft aussagekräftiger als die eigentlichen Handlungstragenden, deren gesprochenes Wort bei Tati der Filmkomponist und -theoretiker Michel Chion mit scharfer Zunge umschreibt als menschliches Sekret, das aus an verbaler Inkontinenz leidenden Körpern austritt. In Playtime wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben, auch in anderer Hinsicht stellt dieser Film ein Extrem dar: Die eigens errichtete Kulissenstadt ("Tativille") außerhalb von Paris, die überaus aufwendige und langwierige Produktion und das beharrliche Bestehen auf das kostspielige 70mm-Format bedeuteten, erst recht, nachdem der Film beim zeitgenössischen Publikum durchgefallen war, den finanziellen Ruin für Tati, und die darüber hinaus entstandenen Restriktionen seitens der Produktionsfirma waren wohl auch der Grund dafür, dass danach nur ein einziger eigener Film, Trafic (Tati im Stoßverkehr, 1972), folgte. Die formale Orchestrierung, die immens gesteigerte Stilisierung, die furiose Farbgebung (der anzusehen ist, dass Tati ursprünglich in Schwarzweiß drehen wollte) jedenfalls machen Playtime zu einem so bildgewaltigen, in all der Härte der Darstellung doch auch wieder poetischen Werk, dessen magische Bildsprache die unterschiedlichsten Absurditäten des Alltags düster und doch auch wundersam betörend einfängt - und unglaublich komisch natürlich.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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