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Leben voll Pathos

"Deine Lieblingsbeschäftigung? In einem bequemen Stuhl lesen. Deine Idee vom Glück? Theil im Ganzen. Welcher Beruf scheint Dir der beste? Den man sich gewaehlt hat." Diese Auszüge aus einem studentischen Fragebogen erscheinen auf den ersten Blick nicht unbedingt außergewöhnlich, und doch sind hier wesentliche Züge der Lebensauffassung von Aby Warburg (1866-1929) skizziert, dessen Antworten hier vorliegen. Sein durchaus eigenwilliger, erfolgreicher wiewohl auch unsteter Werdegang führte Warburg weg von der vorgesehenen Bankierslaufbahn hin zu letztlich herausragender Karriere nicht nur als Erneuerer der Kunstgeschichtsschreibung und Begründer der Ikonologie, sondern auch als Förderer einer Kulturwissenschaft und interdisziplinären Methode. Seine gerne vom Detail, vom Ephemeren ausgehenden Untersuchungen, die sich dann allerdings in wahrlich umfassende Dimensionen ausweiten können - um nichts Geringeres als die Erforschung des Nachlebens der Antike immerhin ging es ihm - sowie der Standpunkt, dass ästhetische Artefakte lediglich unter Berücksichtigung anderer, nicht aus dem Bereich der Kunst stammenden Dokumente vollends erschlossen und verstanden werden können, mögen für seine Form des Glücks stehen - denn seine Leidenschaft war immer die Wissenschaft. Und schließlich veranlasste die schon in früher Kindheit voll entwickelte Bibliophilie den jungen Warburg nicht nur dazu, sein Erbteil für lebenslange Freiheit in Sachen Bücherkauf abzutreten, sondern schuf auch die Grundlagen für sein eigentliches Lebenswerk, die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg. Das Buch, das die Kunsthistorikerin, langjährige Mitarbeiterin an der K.B.W. und Mitherausgeberin der Gesammelten Schriften jenes berühmten exzentrischen Intellektuellen, Karen Michels verfasst hat, bezieht auch solche Dokumente in das biografische Porträt mit ein. Von familiären Hintergründen über nachhaltige, in Italien oder bei den Pueblo-Indianern gesammelte Reiseerfahrungen bis zu seiner Zeit im Sanatorium bei Binswanger lässt die Autorin kaum etwas unerwähnt und liefert dennoch eine erstaunlich konzise Darstellung, die dabei aber keineswegs auf zeitgeschichtliche Seitenblicke verzichtet. Auch Warburgs so unterschiedliche Texte - universitäre Abhandlungen, transkribierte Vorträge, fragmentarische Aufsätze zu Botticelli, Dürer wie zu Astrologie - werden prägnant umrissen und in ihren jeweiligen Entstehungszusammenhang gestellt. Größen wie Panofsky, Cassirer oder Heise waren Zeitgenossen, die sein Umfeld gesucht und geschätzt haben, heute sind es Didi-Huberman, Bredekamp oder auch Agamben, die sich mit ihm auseinandersetzen. Warburg hat mit seiner damals unorthodoxen Methode "das Kunstwerk neu definiert: Es ist nicht mehr vorrangig ein ästhetisches Objekt, sondern ein psychohistorisches Symptom - ein symbolischer Wert, in dem sich Grundprinzipien menschlicher Existenz verdichten". Neben der eleganten, äußert umsichtigen Gestaltung (reiche Bebilderung, Typografie, Einband) ist die Tatsache, dass eine klare, mehr literarische als allzu wissenschaftliche, d.h. jargongetrübte Schreibweise bevorzugt wurde, besonders erfreulich und dem Lesevergnügen mehr als dienlich. Somit richtet sich das Buch zweifellos an ein breiteres Publikum (Gombrichs über 400 Seiten starke "intellektuelle Biografie" hingegen, die nach wie vor zu den Standardwerken zu Warburg zählt, widmet sich dafür primär und detailreich den einzelnen Forschungsprojekten), was durchaus im Sinne des Porträtierten verstanden werden kann: als Überwindung der "grenzpolizeilichen Befangenheit" - letztlich nicht nur von wissenschaftsimmanenten Kategorisierungen. Karen Michels: Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen Herausgegeben von Christian Olearius. Mit einem Vorwort von Martin Warnke. Verlag C.H.Beck, München 2007 128 S., 47 Abb., Eur 19,90
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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