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Fassbinder: Berlin Alexanderplatz - Eine Ausstellung: Differenz und Wiederholung

Und wieder Susan Sontag. Doch nach der etwas fragwürdigen Bezugnahme bei der vorangegangenen, nicht minder fragwürdigen Ausstellung "Into Me/Out of Me" des nunmehrigen MoMA-Kurators Klaus Biesenbach ist dies bei der aktuellen Ausstellung in den von ihm gegründeten Berliner Kunstwerken absolut zulässig. Denn die große Denkerin bewunderte das Werk Rainer Werner Fassbinders sehr, dessen Opus Magnum nach aufwendiger Restauration und spektakulärer Wiederaufführung im Rahmen der diesjährigen Berlinale nun eine gesonderte Präsentation gewidmet ist. "In Berlin Alexanderplatz hat der Film, jene hybride Kunst, endlich etwas von jener sich Zeit lassenden, offenen Form und der akkumulierenden Kraft des Romans erlangt, indem er länger dauert, als je ein Film zu sein wagte - und indem er theatralisch ist", so beschreibt Susan Sontag jene über 15 Stunden dauernde Fassung (13 Teile plus Epilog), die als damals kostspieligste deutsche Fernsehproduktion entstand. Gleichsam als Serie ausgestrahlt, vermochte ein Großteil des Publikums anno 1980 aufgrund der noch verbreiteten Schwarzweiß-Geräte nicht die zum Teil fast schon experimentellen Licht- und Farbkompositionen wahrzunehmen, zudem hatte ein fahrlässiger Umgang mit dem Filmmaterial noch zusätzlich zu einer Verschlechterung der Bildqualität geführt. Dank der digitalen Bearbeitung lässt sich nun regelrecht von einer neuen Filmerfahrung sprechen. Visuelle Effekte wie die Spektralisierung von Lichtquellen oder auch die Strukturierung des Raums mittels Bildrahmungen und Ornamentalisierungen bewirken einen äußerst artifiziellen Grundton von Anspannung und Dichte. Erstaunlich, wie eigenständig und zugleich originalgetreu diese Adaption gelungen ist. Neben einigen Arbeitsdokumenten (Storyboard-Skizzen, Textnotizen, etlichen Filmstills sowie die in "Deutschland im Herbst" auch in ihrer Entstehung zu sehenden Tonbandaufzeichnungen von Regieanweisungen Fassbinders) dominiert die kinematografische Installation die Ausstellungsarchitektur: Wie auch im Film klaustrophobisch machende Innenräume und urbane Schlupflöcher die eigentlichen Orte des Geschehens - und ebenso Metaphern für Befindlichkeiten - darstellen, so wurde auch für die Anordnung der einzelnen Projektionen das Motiv des Hinterhofs zitiert: Für jede Folge gibt es ein eigenes Vorführzimmer, in dem aufgrund des geringen Raums eine intime wie beengende Atmosphäre entsteht. Diese Kammern sind rund um einen Hof organisiert, sodass man einerseits die Filmteile individuell durchwandern und andererseits in dem zentralen Freiraum - obgleich spiegelverkehrt - die erschlagende Gleichzeitigkeit der Bilder und Stimmen erleben kann. Dieses Setting mag sich zwar durch die schlichte Ausführung nicht sonderlich auszeichnen, und zweifelsohne wird es der klassischen Kinosituation auch nicht gerecht, doch es nimmt Bezug auf das Großstadt-Pandämonium, wie es nicht nur Fassbinder, sondern auch Döblin in seinem wohl berühmtesten Roman entwarf. Es war das Buch, das Fassbinders Leben verändern sollte. Im Alter von vierzehn Jahren las er es zum ersten Mal, es war ihm "Lebenshilfe" und Inspiration für etliche Figuren und Motive - nicht erst bei der eigentlichen Verfilmung, in "Faustrecht der Freiheit" etwa spielt Fassbinder selbst eine Figur namens Franz Biberkopf. Während Döblin in sezierender Manier den Großstadtmoloch als soziologisches Phänomen offenlegt, liegt das Hauptaugenmerk bei Fassbinder auf der Psychologie der Figuren. Sein wahrlich fulminantes Ensemble von Hanna Schygulla über Barbara Sukowa bis zu Brigitte Mira wird dabei noch übertrumpft von der meisterlichen Darbietung Günter Lamprechts, der in der Hauptrolle ungemein facettenreich wie eindringlich den modernen Antihelden verkörpert, der letztlich zugrunde geht - an der Wiederkehr des Immergleichen.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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Fassbinder: Berlin Alexanderplatz - Eine Ausstellung
18.03 - 13.05.2007

Kunstwerke Berlin
10117 Berlin, Auguststr.69
Email: office@kw-berlin.de
http://www.kw-berlin.de
Öffnungszeiten: Di - So, 12 - 18, Do 12 ? 20 h


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