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Jenseits der Talkchose

Prominente können auch anders: Jeden ersten Dienstag im Monat schickt der deutsch-französische Kultursender arte jeweils zwei bekannte Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur auf eine nächtliche Reise durch verschiedene Städte. Das Format besteht seit 2002, wurde vom deutschen Feuilleton hochgejubelt und nun auch mit dem diesjährigen Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Das Resultat ist genauso unterschiedlich wie die Protagonisten und Destinationen - mal ein, vorsichtig ausgedrückt, nicht einfaches Kennenlernen zwischen dem radikalen Opernregisseur Calixto Bieito und dem Skandalautor Michel Houellebecq, mal hochsympathisch: der Comiczeichner Lewis Trondheim und die Sängerin Judith Holofernes; mal passt die Chemie einfach nicht, dann wieder treffen zwei Seelenverwandte aufeinander, dass es eine Freude ist, einer derart außergewöhnlichen Begegnung beiwohnen zu dürfen. Das "blind date" von Marina Abramovic und Ismael Ivo war eine solche äußerst glückliche Zusammenführung, die Künstlerin und der Tänzer ließen keinerlei small talk zu, sondern sprachen von Beginn an sehr offen und intim miteinander - ein wunderbares Beispiel für gepflegte Konversation und dabei absolut kurzweilig, was sich ebenso der lobenswerten Dramaturgie, den einzelnen Stationen der nachtschwärmerischen Ausflüge verdankt. Die beiden streifen durch ein schon eher dekadentes Berlin, begeben sich in die Lüfte, dinieren exklusiv, gönnen sich zwischendurch eine Massage, improvisieren mal eben einen Tango (einer der intensivsten Momente), um schließlich mit Klaus Biesenbach messerspielend in einem alternativ angehauchten Kreuzberger Etablissement zu landen. Dass konventionelle Vorgehensweisen die Macher dieser großartigen Sendereihe nicht interessieren, verdeutlicht sich angesichts früherer Produktionen wie etwa Christoph Schlingensiefs legendärem "Talk 2000" und "U3000". Dieses Know-how garantiert eine filmische Umsetzung, die fotografisch wie schnitttechnisch überzeugt, genauso sind es spielerische Effekte, die durchaus gelungen sind: Umwerfend der Soundtrack von Aphex Twins "Window Licker" zu Lüpertz und Nitsch - das sind natürlich auch kleine Gemeinheiten, die aber unheimlich Spaß machen, umso mehr, wenn man sich den Off-Kommentar der Regisseure dieser Folge zu Gemüte führt. Ergreifend ehrlich erzählen sie von den Produktionsbedingungen und -schwierigkeiten, amüsieren sich über die Eigentümlichkeiten der jeden Selbstzweifel hintanhaltenden Künstlerdarsteller oder erinnern sich begeistert an die Situationskomik eines Treffens der beiden Herren mit Valie Export, zu deren ausgestellter Arbeit lange niemandem etwas einfallen will, bis Lüpertz schlussendlich den Anstrich der Wände kritisiert. Inzwischen wurden bereits 31 Filme gedreht, einige sind nun dankenswerterweise auf DVD erhältlich. Die fulminante Besetzung reicht von renommierten Figuren wie John Carpenter, Grayson Perry (der mit Udo Kier zusammentrifft - was für ein Paar!) oder Bryan Ferry bis hin zu Größen abseits der sogenannten Hochkultur wie Peaches oder Bruce LaBruce. Ach ja, und Städte lernt man dabei auch noch kennen. Durch die Nacht mit ... (arte/avanti media) 16 Filme auf 8 DVDs je DVD Eur 14,90 www.zweitausendeins.de www.arte.tv
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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