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Jonathan Meese - Mama Johnny: Erzkünstler

"Nicht jeder kann so sein wie du, nicht jeder hat so ein Kämpferherz." Diese von Über-Mutter Meese kommenden Worte treffen wohl geradewegs ins Schwarze. Denn kämpfen kann er fürwahr, ihr Sohn Johnny, und das gleich an mehreren Fronten. Ringt er doch einerseits mit seinen inneren Gesichten, mit all den ihn bedrängenden Gestalten seiner privaten, popkulturellen Bildungsvita, die eruptiv aus ihm hervorquellen, um in einem manischen Schaffensprozess erneut bezwungen zu werden (das ganze einschlägige Personal aus den Vampir-, Monster- und Alien-Filmen der 60er und 70er Jahre); so hadert er andererseits aber auch mit den großen Dämonen der (deutschen) Geschichte, mit den Erzbösewichtern, die von der Nachwelt in Acht und Bann getan wurden, aber im kollektiven Gedächtnis bzw. Unbewussten weiterhin rumorend ihren Spuk treiben (hier vor allem Hitler und sein philosophischer Steigbügelhalter Heidegger, aber auch Nero, Stalin usw.). Doch bleibt es bei all dem martialischen Abwehrzauber und Beschwörungs-Hokuspokus immer merkwürdig ungewiss, ob das Böse eigentlich besungen oder besiegt werden soll. Sei es wie es sei, die teutonische Kriegerattitüde samt Blut&Boden-Geraune (vor kurzem wurde das wohlig schaudernde Tate-Publikum während einer Performance mit Heil Hitler-Rufen brüskiert) hat Meese jedenfalls zum bad boy der Szene und - das ist kein Gegensatz - zum Liebling der Sammler (Habsburg, Flick, Saatchi etc.) avancieren lassen, die damit vermutlich nicht nur an der Hausse der Meese-Aktie, sondern auch an dem imageträchtigen radical chic zu partizipieren gedenken. Der also äußerst erfolgreiche Mittdreißiger, der vom deutschen Feuilleton schon zum Großkünstler und legitimen Beuys-Nachfolger ausgerufen wurde, hat dabei - ganz seinem Naturell entsprechend - auch bei seiner ersten Werkschau in den Hamburger Deichtorhallen einen kolossalen Kampf zu bestehen, muss er es doch mit der größten Ausstellungsfläche Europas aufnehmen, aus der dazu noch alle Stellwände entfernt wurden. Diese Herausforderung meistert der Künstler, indem er dem riesigen White Cube raumfüllend geschickt eine nicht minder gewaltige Black Box einpasst, ein aus schwarzen PVC-Bahnen bestehendes, mit weitgehend sinnfreien oder nur im hermetischen Meese-Universum Bedeutung erlangenden Parolen (etwa "Die Erzwacht `Stalin` (totale Demut)") bekritzeltes Ungetüm, das schreinartig sein erstes, für Castorfs Berliner Volksbühnen-Inszenierung von Pitigrillis "Kokain" geschaffenes Bühnenbild fasst. Flankiert wird das von ferne an Gregor Schneiders leider bisher unrealisierten Kaaba-Kubus erinnernde Prunkstück von dem sogenannten Maldoror-Turm mit auswendigem Stalin-Konterfei und inwendigem "Opferaltar", der mit Künstlerkollegen Tal R gemeinsam gezimmerten zuckerlrosa Phantasieburg "Moa", die mit ihrer beider Mütter geltenden Devotionalien angefüllt ist, und einem alten, mit derangierten Schaufensterpuppen besetzten Kübelwagen. Die eigentliche Materialschlacht findet dann aber erst in den Kabinetten statt, denn dort wird so ziemlich alles ausgebreitet, was der obsessiv produzierende Künstler im vergangenen Jahrzehnt an Malerei (in Kooperation mit Freunden wie Immendorf, Oehlen, Daniel Richter), Foto-Collagen, Assemblagen, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen herausgeschleudert hat, und was erst in der Summe - und nicht als Einzelstück - eine Wirkung entfalten kann. Und das könnte wohl auch das Fazit dieser nicht uninteressanten Veranstaltung sein.

Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Jonathan Meese - Mama Johnny
30.04 - 03.09.2006

Deichtorhallen
20095 Hamburg, Deichtorstraße 1+2
http://www.deichtorhallen.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 h


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