Andrea Winklbauer,
Seifenblase mit Logo
Als am 31. Oktober 1938 Orson Welles` Hörspiel "War of the Worlds" im Radio gesendet wurde, verließen die Menschen hysterisch die Städte, weil sie die akustische Dramatisierung nach H. G. Wells geschockt für bare Münze nahmen. Dass Fake-Aktionen auch heutzutage immer noch wunderbar funktionieren, bewiesen zwei junge tschechische Filmemacher mit einem listigen Projekt über die Macht der Werbung. Sie kreierten den fiktiven Hypermarkt "Cesky Sen" und beauftragten eine Agentur mit Entwurf und Durchführung einer Werbekampagne, die schlussendlich mehr als viertausend Neugierige auf eine Wiese brachte, auf der anstelle des zu eröffnenden Riesensupermarktes nur eine 10 mal 100 Meter große Scheinfassade stand.
Die Wut der Getäuschten war groß. Die einen schimpften und beschwerten sich lautstark über die Irreführung. Andere sahen ein, dass sie sich eben hatten täuschen lassen. Tatsächlich hatte niemand die versteckten Botschaften wahrhaben wollen. Selbst schuld, möchte man einwerfen, aber wer glaubt nicht gern an einen Traum? Und Vit Klusák und Filip Remunda hatten ihren Landsleuten sogar einen tschechischen Traum versprochen. Wer achtete da noch auf irritierende Textstellen im Werbejingle oder auf die Negationen in Slogans wie "Nicht hingehen", "Kein Geld ausgeben", "Nicht anstellen"? Die wurden wohl für Mittel gehalten, das Interesse im Gegenteil zur Aussage noch zu steigern, was definitiv gelungen ist.
Vit Klusák und Filip Remunda legen den Finger auf eine wunde Stelle postsozialistischer Gesellschaften, einen Minderwertigkeitskomplex, der nur gelebt, aber nicht leicht eingestanden werden kann: Den unbedingten Wunsch, endlich teilzuhaben an den Segnungen kapitalistischer Paradiese, deren umfassendste Erscheinungsformen in der Variante für den "Kleinen Mann" Shopping Malls und Hypermärkte sind. Ich kaufe, also bin ich, ließe sich über die im Film gezeigten Interviews mit shoppingsüchtigen Familien schreiben. 1995 wurde in Prag der erste Hypermarkt eröffnet. In den letzten fünf Jahren wurden in ganz Tschechien 125 davon gebaut, so viele wie in Holland innerhalb von 20 Jahren. Der Nachholbedarf an Konsumverhalten nach westlichem Vorbild ist eben noch immer groß.
Das Projekt und die Doku "Cesky Sen" stellen das Descartes`sche Diktum "vom Kopf auf die Füße" und wieder zurück. Der tschechische Traum, der Traum des "Kleinen Mannes", der Eintritt ins europäische Paradies des unendlichen Konsums, war zur Zeit der Dreharbeiten eben in Vorbereitung: Mit Werbemaßnahmen ähnlich denen für Cesky Sen wurde Stimmung für den EU-Beitritt Tschechiens gemacht. Dass der Zusammenhang auch verstanden wurde, zeigt ein Interview, in dem einer der Geprellten des Eröffnungsfakes sagt, dass er nun auch über den EU-Beitritt eine kritischere Meinung habe. So outet sich der vermeintliche böse Scherz zweier Filmstudenten als recht ordentliches, aufklärerisches Projekt: Selber denken, statt einfach (ab-)kaufen, was durch Werbung angepriesen wird.
Cesky Sen - Der tschechische Traum
Regie: Vit Klusák, Filip Remunda, Tschechien 2004, 87 min.
ab 4.8.06 im Kino.
www.ceskysen.cz
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