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Blick in die Ferne

"Die Mythen von Notwendigkeit, Allgegenwart und Effizienz müssen in Frage gestellt und demontiert werden", fordert Jonathan Crary angesichts der Entwicklungen des Mediums Fernsehen. Das entspricht freilich nicht ganz der Ausrichtung des kürzlich eröffneten Berliner Fernsehmuseums. Viel eher versteht sich die neue Institution als ein Ort, an dem der Flüchtigkeit des Mediums entgegengewirkt werden kann und soll - man wolle den Leuten ihre Bilder zurück geben, hieß es ein wenig pathetisch in einer Stellungnahme des Direktors Peter Paul Kubitz. Der Umstand, dass die permanente Schau eher bescheiden ausgefallen ist, muss insofern relativiert werden, als die Entstehungsgeschichte eine immens langwierige war: bereits vor 20 Jahren wurde über eine Mediathek nachgedacht, von der nach ewigen Unstimmigkeiten niemand mehr hören wollte, und letztendlich gab man einem prinzipiellen Anfang für ein Museum gegenüber den allzu großen Ansprüchen den Vorzug, um sich auf diese Weise immer noch die Möglichkeiten zur Erweiterung offen zu halten. Am Beginn des Ausstellungsparcours nun befindet sich der sogenannte Spiegelsaal: hier türmen sich in acht Meter Höhe Spiegelwände, auf die Fernsehbilder diverser Genres, zurückreichend bis in die Fünfzigerjahre in einer halbstündigen Revue projiziert werden, die den Besuchern eine eindrucksvolle wie Nostalgie evozierende Zeitreise vorführt. Der zweite Raum widmet sich ganz der historischen Entwicklung, von den technologischen Vorraussetzungen für die Television über wichtige Ereignisse der (west- und ost-)deutschen Fernsehgeschichte bis zu trivialen Meilensteinen wie Tatort, Wetten dass oder Big Brother. Auch scheinbar nebensächliche Aspekte wie z.B. die Einführung der Fernbedienung - die das Fernsehverhalten natürlich enorm beeinflussen sollte - finden Erwähnung; letztlich bleibt es aber weitgehend bei einer tabellarischen Aufzählung, die ergänzt wird durch etliche Abbildungen sowie einigen Sendungsausschnitten, die eine Art Fernsehkanon suggerieren: J.F.Kennedys Berlinbekenntnis, der Mauerfall, 9/11. Zum Abschluss wird eine umfangreiche und stetig wachsende, auf Qualität bedachte Auswahl unterschiedlicher Fernsehsendungen zur individuellen Sichtung angeboten: mehrere Sitzbereiche laden zur TV-Rezeption eigener Wahl ein, wobei eine Vielzahl an Zusatzinformationen - etwa über die beteiligten Schauspieler, Regisseure oder auch das Presseecho - einen genaueren Einblick in die Produktionen ermöglicht. Die Sonderausstellung schließlich widmet sich - was Wunder - dem gerade ubiquitär erscheinenden Sportereignis, hier wird die wechselseitige Beeinflussung von Fernsehen und Fußball illustriert. Neben historischen Aufzeichnungen, Fanartikeln und dergleichen wird aber etwa auch der horrible Vorfall im Heysel-Stadion einbezogen. Ebenfalls zu sehen ist Hellmuth Costards "Fußball wie noch nie" (1970/71), in dem der Experimentalfilmemacher während eines ganzen Spiels einzig einen Stürmer ins Visier nimmt - wenn das nicht nach Philippe Parrenos und Douglas Gordons aktueller Zidane-Hommage klingt. (D 10785 Berlin, Potsdamer Straße 2, Sonderausstellung bis 30.07.2006) www.deutsche-kinemathek.de
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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