Andrea Winklbauer,
Kerstin Cmelka - Non-Identical Twins: Subtile Hinweise
Man kommt hinein und fragt sich erst mal: Na, und? Bin ich hier in einem Kunstraum oder in einem Reisebüro, einer Partnervermittlung, einer Casting-Agentur (Fitness-Center)? Nicht, dass solche Fragen beim Betreten einer Galerie oder einer Ausstellungshalle noch nie aufgekommen wären. Es handelt sich dabei sogar um eine bereits recht alte Art von Frage. So wären sich die Besucher der ersten Ausstellung der Society of Independent Artists 1917 in New York angesichts von Marcel Duchamps "Fountain" wie in einem Laden für Klempnerbedarf vorgekommen (wenn die Jury das Ready Made nicht abgelehnt hätte). Mit Duchamps Bürgerschreck-Urinoir haben Kerstin Cmelkas Fotoinstallationen auf den ersten Blick nur die Alltäglichkeit gemeinsam und die wirkt im konkreten Fall so harmlos, dass man die Fotos - etwas überspitzt ausgedrückt - eigentlich zweimal ansehen muss, um zu verstehen, warum sie hier und heute als Kunstwerke ausgestellt sind.
Doch darum geht es unter anderem. Es ist die ungeheure Banalität dieser Bilder, die Kerstin Cmelka uns ins Bewusstsein sickern lässt. Da sieht man in zwei Ecken des großen Raumes spiegelbildlich denselben Bildausschnitt: Eine etwas übertrieben lachende junge Frau im Bikini beugt sich über einen liegenden Mann. Das Foto stammt aus einem Artikel mit dem Titel "Nie mehr Single", erfährt man aus dem Katalog. Zwei weitere Farbfotos zeigen ein junges Paar mit Baby. Die Leute gehen neben einander und einmal schaut er stur und sie schimpft und umgekehrt. Es gibt auch Fotos mit bekannten Gesichtern: Auf einem großen Schwarzweißdruck erkennen wir eine junge Mia Farrow, geführt von einem älteren Herrn, dem Regisseur Richard Fleischer. Das sind Bilder von Männern und Frauen in Situationen, wie man sie jederzeit und überall beobachten kann.
Der Punkt dabei ist: Kerstin Cmelka richtet ihren Fokus gerade auf die Alltäglichkeit der Posen und Gesten, auf die Vertrautheit des Vokabulars des Umgangs zwischen den Geschlechtern. Und bald entdeckt man die Ungeheuerlichkeit darin. Da sieht man zweimal dieselbe Szene aus dem Luchino-Visconti-Film "Rocco und seine Brüder". Einmal steht der Regisseur vor dem männlichen Darsteller mit dem Messer, einmal die Schauspielerin Annie Girardot, die die vorgezeigte Pose nachspielt. Mit Schaudern entdeckt man in dem Raum zwischen diesen beiden Produktionsfotos ihre doppelt passive Rolle: als vom Mann mit dem Messer bedrohte Filmfigur und als vom Regisseur im wirklichen Leben gelenkte Marionette. Mit ungeheurer Subtilität schält Kerstin Cmelka aus dem Found Footage und in eigens von ihr produzierten Arbeiten die körperbezogenen Zeichen der männlichen Herrschaft heraus, die wir nur deshalb nicht sofort gesehen haben, WEIL WIR NOCH IMMER MIT IHNEN LEBEN. Das ist die eigentlich schockierende Erkenntnis.
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Kerstin Cmelka - Non-Identical Twins
27.01 - 04.03.2006
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