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Francis Bacon. Die Portraits: Über die Geworfenheit

Zweifellos ist der Hamburger Kunsthalle mit dieser Schau ein großer Wurf gelungen. Nicht nur, dass man damit eine kaum glaubliche Lücke in der Rezeption zu schließen und erstmals alleine das Portraitwerk von Francis Bacon vor ein Publikum zu bringen vermag, wird dadurch, gewissermaßen als Surplus, auch demonstriert, dass Malerei sich weder eskapistisch in neoromantischen Wunsch- und Behaglichkeitswelten zu verlieren braucht (wie allen voran die Neue Leipziger Schule), noch sich - als vom Markt erforderte Gegenbewegung - einem sterilen und in seine eigene abstrakte Geschichte versponnenen Neoformalismus ergeben muss. Kunst konnte sich nämlich ferner einmal durchaus zur Welt verhalten, konnte Weltaussage und Zeitkommentar sein und letztlich ein gültiges Menschenbild formulieren. Und dies auf eine hochmögende kunstgerechte Weise. So wie Francis Bacon, der neben Giacometti wohl unerschrockenste Portraitist des späteren 20. Jahrhunderts, den Menschen in seiner existentialistischen Geworfenheit, also in seiner Bestimmung als ausgesetztes, einsames, zwischen den Polen Geburt und Tod aufgespreiztes Wesen auf Bild bannte. In seinen Anfängen, die buchstäblich unter dem Schatten großer Meister wie Rembrandt und Velázquez standen, nahm Bacon dabei nicht an integren Modellen Maß, sondern formte aus diversen Teilen, die er Photographien, Reproduktionen oder einfach seinem Gedächtnis entnahm, Kompositportraits, in denen die Figuren sowohl in einem geometrischen Gehäuse gefangen wie in dessen Flächenkonstruktion eingespannt scheinen (beispielhaft die berühmte Papst-Serie). Mittels eines aus ihren zähnebleckenden Mündern hervorbrechenden Schreies - oder exaltierten Lachens -, an dessen psychologiefreier Wiedergabe Bacon eigenem Bekunden nach allein interessiert sein wollte, entladen sie sich daraufhin der ihnen angetanen sublimen Gewalt. Nach einer Übergangsphase, in der sich unter dem Einfluss van Goghs die Palette erweitert und aufhellt und die Figuren langsam in den zusehends theatralischer anmutenden Raum auszugreifen beginnen, geht Bacon schließlich dazu über, die erregte Bewegtheit dem Motiv zu entziehen und sie in Farbe bzw. Faktur zu verlegen. Die dabei ab den frühen 60ern entstehenden Köpfe, die gerne zu Triptychen zusammengefasst werden, sind tatsächlich eine stille Sensation und vielleicht die größte Attraktion dieser Ausstellung. Denn diese Bilder, die allesamt Liebhabern, Freunden oder Bacons eigenem Antlitz vorbehalten bleiben, ermöglichen einen intimen Einblick, erlauben es, den Maler bei der Erprobung seiner monströsen Bravour zu belauschen: wie unter seinem entstellenden Blick die Materie erweicht, verrutscht, verbeult, zuweilen wie in einer Doppelbelichtung überlappt, und die geschundenen Gesichter endlich auch noch Elefantiasis ausbilden, also aus einer pastos aufgetragenen, teils verwischten und verriebenen, teils mit Textilien bedruckten Farbschicht neu erstehen. Fürwahr ein Zerrspiegel, in dem wir unsere eigene fleischliche Vergänglichkeit erkennen dürfen.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Francis Bacon. Die Portraits
14.10.2005 - 15.01.2006

Hamburger Kunsthalle
20095 Hamburg, Glockengießerwall
Tel: ++49 (0) 40 428 131 200, Fax: ++49 (0) 40 428 54 34 09
Email: info@hamburger-kunsthalle.de
http://www.hamburger-kunsthalle.de
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h, Do 10-21 h


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