Michael Elmgreen & Ingar Dragset - The Welfare Show: Akteneinsicht
Ungewöhnliche Blickwinkel tun sich derzeit in der BAWAG Foundation auf: im Foyer steht ein Fernrohr, das auf das Nobelrestaurant gegenüber gerichtet ist. Und wie bei touristischen Ausblicken gilt es, eine Münze hineinzuwerfen - nicht jedoch, um eine schöne Aussicht zu bewundern, sondern um zum Paparazzi bzw. zum Voyeur zu werden - je nach Berühmtheit der Tischgesellschaften oder der inneren Einstellung. Jeder Bissen auf den Gabeln kann analysiert, das Essen auf dem Teller kommentiert, die Gesten, Gesichtszüge und andere Körperfalten studiert und die Kleidung, der Schmuck und die anderen Accessoires geschätzt werden. Kein Kleckern, kein Sabbern entgeht dem abtastenden Auge. Die Zeit der Nähe ist wie bei jeder "wunderbaren" Aussicht begrenzt.
Für beide Seiten: sowohl für die Blickenden als auch die Esser im Restaurant wird die künstlerische Intervention von Michael Elmgreen & Ingar Dragset zum Selbstversuch: Wer hält so viel "Einsicht" schon aus? Wer möchte beim Dinieren beobachtet werden? Vom ersten Stock der BAWAG Foundation führt ein Fernrohr nach innen: jedoch nicht auf die Schreibtische der Angestellte, sondern auf den darunter liegenden Ausstellungssaal, der angehäuft ist mit Gerümpel, so dass er nun einer Müllhalde gleicht. Zwischen dem ausrangierten Hausrat sitzt oder wühlt sich ein Sandler - vielmehr meinen wir vielleicht, dass es ein solcher sei. Auch diese Person können wir bei ihrem Tun hautnah beobachten.
"The Welfare Show" hat das Künstlerduo aus Dänemark bzw. Norwegen, das in Berlin lebt, seine scharfe Kritik am Wohlfahrtsstaat genannt. Durch die krasse Inszenierung, eine Verschränkung zwischen theatralischer Bühne und realem Leben, bleibt der Ausstellungsraum nicht mehr neutral für alle möglichen Diskurse, sondern zwingt zur unmittelbaren Konfrontation mit dem Thema und das an einem Ort, der zu den teuersten Shoppingmeilen Wiens zählt. Auch auf der Straße begegnet man den hier formulierten Polen der Gesellschaft - nur der Unterschied ist: auch wenn man bei beiden kurz neugierig hinschaut, dürfte die vorherrschende Reaktion ein Wegschauen sein. Der künstlich erzwungene Fernrohrblick schafft eine unerträgliche Nähe und spitzt das Thema zu.
Es bleibt die Frage offen: Wer spielt hier Theater? Jene Personen außen oder jene Gestalt innen? Vielleicht kann die Akteneinsicht - der Katalog hat die Form eines schnöden, grauen Aktenordners - hier weiterhelfen?
16.09 - 26.11.2005
BAWAG Foundation
1040 Wien, Foundationsquartier, Wiedner Hauptstraße 15
Tel: +43 1 504 98 80 38, Fax: +43 1 504 98 80 39
Email: foundation@bawagpsk.com
http://www.bawag-foundation.at
Öffnungszeiten: Di bis So, feiertags 11 bis 18, Do bis 20 Uhr