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Alt-Wien - Die Stadt, die niemals war: Leise flehen meine Häuser

Eine Ausstellung nur über ein rezeptionsgeschichtliches Thema - das klingt nach einer gewagten Sache. Herausgekommen ist eine hochinteressante Zusammenstellung wien-historischer Spezifika, die die vielschichtige Thematik, und so sollte es ja eigentlich immer sein, auf den unterschiedlichsten Levels anschaulich präsentiert. Es geht um ein Phänomen, das Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und seitdem stets mit den Epochen mitwuchs. Galt im 19. Jahrhundert die kleinteilige Bebauung der Renaissance- und Barockzeit als dokumentierens-, wenn auch gleichzeitig zerstörenswert, so sehnte man sich nach vollzogener historistischer Straßenregulierung und Neubebauung nach dem vermeintlich gemütlichen, putzigen Vormärz des Schubert Franzl und des "Dreimäderlhauses". Aber auch von progressiver Seite, von der Wiener Werkstätte über Josef Frank und Oskar Strnad bis zu Adolf Loos, nahm man sich die reduzierte Ästhetik der Zeit um 1800 zum Vorbild - ein internationales Phänomen allerdings, das es auch in Deutschland mit seiner Ikonisierung von Goethes Weimarer Gartenhaus gab. Der eloquenteste Propagandist der Wiener Moderne, der jüdische Kunsthistoriker Max Eisler, war zugleich Herausgeber einer Reihe mit Ansichten des historischen Wien, und Loos kämpfte gegen die Demolierung des barocken Kriegsministeriums Am Hof. Die Zeit des Ständestaats brachte, nach der 1000-Mark-Sperre Nazi-Deutschlands, eine konsequent vorangetriebene operettenhafte Inszenierung des touristischen Österreich, die bis heute fortwirkt, ergänzt durch eine neuerliche Nostalgiewelle um das Phänomen "Wien um 1900". Klimt- und Schiele-Bilder auf Regenschirmen, Krawatten und Radiergummis sind die Folge und die Erben der einst von Karl Kraus protokollierten Schubert-Büsten aus Schweineschmalz und Seife. Für die sehenswerte Ausstellung sollte man tunlichst mindestens einen halben Tag und viel mentale Aufnahmefähigkeit vorsehen - und/oder zum Nachlesen den fundierten, rund 600 Seiten starken Katalog (EUR 32,00) erwerben.
Mehr Texte von Iris Meder †

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Alt-Wien - Die Stadt, die niemals war
25.11.2004 - 28.03.2005

Wien Museum im Künstlerhaus
1010 Wien, Karlsplatz 5
Tel: +43.1.587.96.63, Fax: +43.1.587.87.36
http://www.wienmuseum.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Do bis 21 h


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