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HeimART im Herbst

Bereits vor der eigentlichen Eröffnung sorgte „Horror Patriate“ für Schlagzeilen, denn das in der Altstadt von Graz aufgestellte Plakat „Cleaning a Poster During the Election Period Until its No Longer Legible“, 2024, des Künstlers Yoshinori Niwa wurde kurzerhand von der Polizei verhüllt. Auf dem fiktiven Wahlplakat der „Ehrlichsten Partei Österreichs“ war u. a. der Slogan „Jedem das Unsere“ zu lesen, ein Slogan, der auf die Formel „Jedem das Seine“ der NS-Zeit anspielt. Handelt es hier also um eine Verherrlichung nationalsozialistischer Ideologie – oder wohl eher um eine kritische Kunst, die durch Überaffirmation rechtes Gedankengut entlarvt? Wenige Tage später jedenfalls wurde das Plakat wieder enthüllt, was dann prompt von der steirischen FPÖ scharf kritisiert wurde.

Yoshinori Niwas Plakat zählt zu den ganz wenigen Arbeiten des diesjährigen „Herbstes“, die nicht in das Konzept des alternativen (National)Museums gezwängt wurden. Die Intendantin Ekatarina Degot schreibt im Programmbuch, die gesellschaftspolitische Macht von Institutionen überschätzend, dass „Museen Fabriken sind, die nationale Identitäten herstellen“. Angesichts des weltweit grassierenden Rechtspopulismus versucht der Steirische Herbst dann in seiner Ausstellung in der Neuen Galerie Graz an diese Einschätzung anzuknüpfen und einen „kritischen und humorvollen Gegenentwurf zu gängigen Nationalmuseen“ zu inszenieren. Arbeiten von 29 Künstlern treten dazu in einen Dialog mit ausgewählten Exponaten aus Grazer Museen ein.

Ein gutes Beispiel für diese kuratorische Strategie ist Jan Peter Hammers etwa 45 Minuten langer Film „Noreia“, 2024, der dokumentiert, wie aus fehlgeleiteter Heimatliebe die Wahnvorstellung eines ruhmreichen keltischen Ursprungs erwächst. Und wie dieser völkische Wahn dann durch historische Wissenschaft gestützt werden soll. Beispiel hierfür ist in Hammers Film der steirische Ort St. Margarethen, der 1930 in Noreia umbenannt wurde. Im Zentrum der um Sachlichkeit bemühten Arbeit steht der erzählende Obmann des dortigen Vereins, der sich die Pflege der vermeintlichen keltischen Tradition auf die Fahnen geschrieben hat. Mit Mitgliedern dieses Vereins werden zudem „historische Szenen“ nachgespielt. Der überzeugende Film „Noreia“ wird in der Ausstellung dann zum Beispiel mit der Skizze „Norejadendenkmal von der Straße aus“, 1929, in Bezug gesetzt. Dieses turmartige Denkmal sollte an die progermanische Geschichte Noreias glorreich erinnern, er wurde allerdings nie gebaut.

Wenige Räume später hängt das rot-weiße Neon „Kill and Go“, 2000, von Peter Friedl an der Wand. Die Arbeit in den Nationalfarben Österreichs kommentiert lapidar den Mord an vier Roma im burgenländischen Oberwart. Schräg gegenüber steht eine Figur einer „Slawin“, 1936/37, aus dem Trachtensaal des Grazer Völkerkundemuseum. Fremdenfeindlichkeit zeigt sich in dieser lebensgroßen Darstellung vor allem durch die einfache, schlicht weiße Kleidung der barfuß dastehenden Frau, was diese als rückständig, ja „barbarisch“ charakterisieren soll. Bezeichnend auch, dass nur zwei der 42 Figuren des Trachtensaals „Slawen“ präsentieren – so wird in der Museumspräsentation aus der Mehrheitsbevölkerung während der Monarchie eine jetzt ausgegrenzte Minderheit.   

Leider ist zu befürchten, dass solch intertextuelle Dialoge, mögen die einzelnen Arbeiten auch noch so gut sein, brav im Kunst-internen Diskurs stecken bleiben und nur ansatzweise den Finger auf die immer größer werdende Wunde des aktuellen Rechtsrucks (noch) demokratischer Gesellschaften legen können. Der museale Kontext nämlich verengt das diskutierte inhaltliche Spektrum mehr oder weniger auf geschichtsträchtige Phänomene wie „Größenwahn“, „Kabinett der Gipfel und Hügel“ oder „Direktorium der Nationen“ (Ausstellungsführer). Aktuelle Aspekte aber, wie vor allem die Auswirkungen der neoliberalen Globalisierungen auf „nationale Identitäten“, aber lassen sich da nur schwer reflektieren.

Und auch die angesprochenen Rezipient:innen der Arbeiten werden durch den musealen Kontext vorsortiert, Rechtsextreme etwa gehen bekanntlich eher selten in eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst. Man spricht hier also fast ausschließlich mit an der Kritik am Rechtsruck Einverstandenen. So ist es dann auch kein Zufall, das bisher lediglich das im öffentlichen Raum gezeigte „Wahlplakat“ von Yoshinori Niwa für kontroverse Diskussionen beim Steirischen Herbst gesorgt hat.

Dazu kommt, dass, damit der Dialog „von alt und neu“ im Museum funktioniert, die aktuellen künstlerischen Positionen solche sind, die zumeist einem recht traditionellem Werkbegriff gehorchen. Dematerialisierte Konzeptkunst, prozesshafte Projekte oder aktivistische Politkunst zum Beispiel sucht man in der Neuen Galerie Graz vergebens. Genau diese Beschränkung aber ist typisch für den derzeitigen, eigentlich zu kritisierenden, wertkonservativen Zeitgeist.

Gleichsam als Appendix zur Ausstellung in der Neuen Galerie Graz eröffnete eine Woche nach dem offiziellen Opening des Steirischen Herbstes im Forum Stadtpark die Präsentation „Kunst Heimat Kunst Revisited“. Bereits 1992 konzipierte der Kurator Werner Fenz für den Steirischen Herbst das Ausstellungsprojekt „Kunst Heimat Kunst“, das ebenfalls über den Begriff der Heimat nachdachte. Als „entlokalisierte“ Präsentation fand das Projekt nicht nur in Graz, sondern zum Beispiel auch in Sankt Petersburg, Berlin und Antwerpen statt. Der Grazer Part „Tramway 530“ ereignete sich damals bürgernah an einer durch die Stadt fahrenden Straßenbahn, die Arbeiten unter anderem von IRWIN, Raimund Kummer und Ange Leccia präsentierte. Die „revisited“-Version von „Kunst Heimat Kunst“ dokumentiert mit ihrem Archivmaterial das wegweisende Projekt und ist so eine gelungene Geschichtsstunde, die daran erinnert, was Kunst alles kann, wenn man sie nur lässt.

⤇ Steirischer Herbst

⤇ Horror Patriae
Bis 16.02.2025
Neue Galerie Graz

Mehr Texte von Raimar Stange

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