Mit Geschichte treibt man keine Spielchen
Ein Rundgang durch Ausstellungen im Rahmen von curated by 2024
Das Bild des Tages findet sich bei Martin Janda, wo Europaletten wie Einkaufswägen geparkt an der Wand lehnen. Im Lauf der Ausstellung dienen die Paletten als Stichwortgeber und formales Motiv, als Synonym, Referenz, als Material... Der Zauber der provisorischen skulpturalen Installation von Devin T. Mays zerbricht auch nicht an der beigefügten Rede kunsttheoretischer Fragen, die sich am Ende einer sehr langen Kette philosophischer Deduktion genauso wie am Ende einer langen Folge alkoholischer Getränke stellen könnten, zum Beispiel: "Kann man Transportpaletten transportieren?"
Von einem der Bildhauer der Renaissance, der als einer der größten Bildhauer in die Geschichte eingegangen ist, sagt man heute, er habe über seine Arbeit gesagt: alles, was er aus dem Stein schlage, sei in diesem Stein bereits enthalten. Sein Tun bestünde darin, freizulegen, was vorher schon da war.
Einer der Großen, die das 20.Jahrhundert hervorgebracht hat, machte sich nicht einmal mehr die Arbeit, dieses, was enthalten ist, freizulegen. Er legte die Farbtube geschlossen vor die Kamera. Das war das andere Ende seiner Theorie der Kunst des Auswählens.
Heute gehört es sich nicht mehr, Geschichte als Monolithen zu verkaufen. Aber es wird versucht, Figuren freizulegen, die verborgen geblieben sind. Oder Reste zusammenzukehren, und ein Puzzle zusammenzulegen. Oder statt eines Steinblocks, der alles und nichts enthält, ein andere Struktur vorzustellen...
Noit Banai, die dieses Jahr den Essay zum curated by-Festival geschrieben hat, stellt die Forderung: "Das Projekt der unerzählten Geschichten zielt darauf ab, isolierte, marginalisierte, abweichende, übersehene oder ausgelöschte Elemente der Geschichte auf neuartige Weise zu artikulieren, zu visualisieren, aufzuführen, zu verkörpern oder auszudrücken." Mit hoffentlich tiefgreifenden Erkenntnissen bezüglich der verschiedenen Sphären, in die wir eingebettet sind: Nationalstaatlichkeit, Biosphäre, Gegenwart.
In der Galerie Thoman sieht man Arbeiten von Künstler*innen die fast alle tot sind, aber während ihrer Zeit ihre Existenz gegen die üblichen Formen struktureller Unterdrückung behauptet haben. Man sieht Schnipsel eines Lebens, Fragmente eines Schaffens, eingeordnet in eine Erzählung, die darübergelegt ist, die Auswahl einer Auswahl einer Auswahl.
Im Souterrain von VIN VIN dann Schnipsel aus nur einem Leben, es könnte mein Leben sein, ich finde mich wieder, Szenen von Waschmaschinen und Schaukelpferden, Zahnarztsesseln und Autobussen und vielem Weiteren, dem noch viel mehr dazu fabuliert werden könnte, alles in Miniatur und aus Resten, Abfall und Fundstücken von Lydia Ricci in Handarbeit gemacht.
Bei Gianni Manhattan dieses Mal alles an die Wand gerückt. An den Wänden Bilder, die mit dem eigenen Blut gemalt sind, und Skulpturen, die schwer zu beschreiben, very New York; eigentlich Zeichnungen, die in den Raum gebracht; dann wieder sehr auf Haptik und Oberfläche bedacht; und dabei reminiszent von: Industriedesign; Körperteilen; Tiefseeorganismen; Aufforderungen zum Mitfühlen mit Maschinen und intelligenter Glibbermasse.
Sophie Tappeiner zeigt sogar nur eine einzige Arbeit, eine skulpturale Videoinstallation von Akeem Smith, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die jamaikanischen Dancehall-Kultur archivarisch aufzuarbeiten und diese ganze Kultur in eben eine geloopte skulpturale Videoinstallation gegossen hat.
Und bei Meyer*Kainer nach Art des Hauses eine mythen- und geschichtsträchtige szenische Installation, weil Mythen und Geschichte und Philosophie und szenische Installationen immer toll sind, ist ja so. Marie Antoinette, die mit dem bäuerlichen Dasein als einfache Dorfbewohnerin flirtet, Marie Antoinette, die drei Mal trotzdem oder deshalb geköpft wird. Und zwischen den Marie Antoinettes die Rede von neofeudalen Strukturen heute.
Noit Banai spricht in ihrem Essay auch von der Stille, die im Entstehungsprozess von Geschichte beteiligt ist. Wahrscheinlich ist Geschichte zu ernst, um mit ihr Spielchen zu treiben, aber dieses, was lange Stille war, jetzt einfach mit Rede zu füllen, also der Geschichte hinzuzufügen, oder die eine Rede moralisch legitimiert mit einer anderen zu ersetzen, was ist das? Wo bleibt das leere Fotoalbum, wo die Peinlichkeit dessen, was nicht erzählt werden mag, wo der Stolz auf die erschwindelte Vergangenheit, wo bleibt das Rauschen von allem gleichzeitig, das all over? Wo die geschlossene Box, hinter der alles sein kann? Bei Eva Presenhuber bleibe ich länger vor sechs großen Buchstaben stehen, BIG EGO, und über mir Stimmen, die durcheinanderreden, reden, immer weiter, reden.