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Ich kann keine Kunst mehr schauen

Die Parallel Vienna wurde aufgrund des Unwetters am Freitag, den 13. September behördlich geschlossen. Am Samstag den 21. und Sonntag den 22. September werden die Pavillons 7 und 16 am Otto Wagner Areal nochmals für Besucher:innen geöffnet. Hier ein Rückblick auf die Erlebnisse am Eröffnungstag.

Nein, er sei noch kein Mitglied, das sei erst ab 16 Uhr möglich, wenn die Parallel Religion feierlich von Lydia Haider und ihrer Entourage gegründet würde, erklärte mir Stefan Bidner, künstlerischer Leiter der Parallel. Ob er denn plane? Er fehlte jedenfalls, im Gegensatz zu mir, den man nach Beiwohnung des feierlichen Ein- und Umzugs der Glaubensmütter, -väter und allen dazwischen und außerhalb, sowie einer von der Galerie des Theaters von einem Mann im Priestergewand vorgetragenen Lesung betont derber und sprachwitziger, also österreichischer Texte, im Stuhlkreis antreffen konnte, in dem zwischen unserem schriftlichen Ansuchen um Aufnahme und dem mündlich auszusprechenden Glaubensbekenntnis wir Laien nun saßen. Wir erlösen dich nun/ und sprechen dich frei/ von Scheiß Dramarei. Mir wurde Weißwein in den Mund gekippt. Dann erhob ich mich von den Knien und war aufgenommen in die Parallel Religion. Mir stand jetzt der gesicherte Bühnenraum des Am-Steinhof-Theaters offen. Wahrsager Aurelio, hatte vorausgesehen, das wir uns backstage, also eigentlich onstage, wiedertreffen würden, aber er hatte auch gesagt, dass das nicht so lange dauern würde, und also musste ich, noch bevor er dort seine Wahrsagerei über einem Deck Tarotkarten, eigentlich Volkskarten, mit Zitaten eines gewissen Volks-Rock n' Rollers, der hier nicht namentlich genannt werden soll, zum Abschluss bringen konnte, mitteilen: Aurelio, dude, ich hab dir gesagt, ich hab nicht viel Zeit, und ging ab und niemand hinderte mich.

Ich halte normalerweise Abstand von solcherlei seelischen und körperlichen commitments, zumal in der Öffentlichkeit. Zu meinem Glück wurde achtsam mit uns umgegangen, das ist ja vorher nie so ganz klar, und ich hatte immerhin Gerede von vergoldeten Arschlöchern, Tattoos und Kastration aufgeschnappt, aber nein, es ging nur darum, sich den "Sachen zu stellen, wie man sich eben Sachen stellen muss". Aber die Pointen verpufften auch relativ schnell, nach all der Aufregung. Wir waren mit einer Ausgabe glaubensgrundlegender Texte belohnt worden, darunter sich mindestens einer von einer sehr bekannten österreichischen Schriftstellerin, einer über das "Gemeinschaftliche Verspeisen einer (dreifarbigen) Katze" und daneben viele Fotos von vielen knienden Menschen und vielen offenen Mündern finden ließ. Im Querlesen blieben die Wörter Thomas Bernhard, Gott, Hurenkind, Mittelschicht, Pollesch, Uschi, Wurstfinger, Zerstörung, aber auch Servus, Sinn, Sie, Sieligion, Sieben Hirten, Satelliten und Ersatzhandlungen hängen. Außerdem ein Gedicht, das, wenn mich meine zwei Semester Arabisch 1 etwas gelehrt haben sollten,

Ka Ka Ka Ka/

Ti Ti Ti Ti/

Ka Ka Ka Ka/

Ti Ti Ti Ti/

...

gelesen werden müsste.

 

Parallel ist

crazy

kaputter Leerstand

weird

dieses Jahr nicht so kaputter Leerstand

Party

Kunstmesse

auch Kunst

bisschen weit weg

auf dem Gelände krasser Naziverbrechen an Frauen, Kindern, Ausgegrenzten

bisschen teuer vielleicht

 

Dieser eine Punkt ist dann doch irgendwie wichtiger als die anderen, und der Rest im Umkehrschluss irgendwie unwichtiger, aber auch von denen will ich ein paar erwähnen, weil doch irgendwie hängengeblieben:

Da war zum Ersten Bitterer Ernst (Dean Maassen & Michael René Sell), die sich ein bisschen selbstironisch ("very cool concepts, excellent sculptures, epic drawings, bizarre stories", oder auch, was ich lustiger finde: "notation artist, composer and psychic medium"), ein bisschen sarkastisch ("It's all about the money!") aber dann auch sehr deep geben ("has been working with people who have experienced profound crises") und mich ein Stück weit überraschten mit einem grafischen Notationssystem, bei dem ich dachte, ja, sowas bräuchte man auch, das kann schon was, was nur Bilder, oder nur Text nicht kann, aber mir trotzdem unsicher war, was ich wirklich davon halten sollte ("Das ist eine Zeichensprache, die ich in der zweiten Klasse erfunden habe und seitdem weiterentwickle. Es macht alles Sinn.")

Dann war da noch, es macht keinen Sinn, hier einen Übergang zu suchen, Thomasz Vollmann, Typ Denker und Tüftler, der so Sachen zeigte wie: seine gesammelten Notizen aus 19 Jahren Künstlertätigkeit; die Dokumentation einer Ausstellung seines gesamtes Besitzes, kategorisiert nach Kunst und Nicht-Kunst; und ein Webtool zur Zufallsgeneration von Eckpunkten seiner Praxis zu neuen Zusammenhängen. Wenn Kunstmachen nicht im Produzieren von Objekten, sondern im immer Anders-, immer Neu-, immer Über-Denken besteht, that's your guy.

 

Die Samosas sind zu empfehlen, und bezahlbar.

Die Festival-Tickets sind eindeutig zu teuer.

 

Und dann, pwoah, war da die Sache mit dem Ort, heute Otto-Wagner-Areal, früher Am Steinhof, heute Festivalgelände, heute Immobilienprojekt ("hochwertiges Wohngebiet"), früher Heil- und Pflegeanstalt a.k.a. Tötungsanstalt der Nazis. Parallel verweist auf zwei Websites (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Am_Spiegelgrund und https://www.gedenkstaettesteinhof.at) und die Unterstützung der Aufarbeitung. Ich konnte mindestens eine Position finden, ein Artist Statement, das sich damit auseinandersetzte, aber mir wurde versichert, dass es einige mehr gäbe. Rosa Andraschek hat für ihr Projekt mit Wissenschaftler*innen über die Vergangenheit des Pavillon 23 auf dem Gelände gesprochen. Pavillon 23, heute Wohnbauprojekt, früher Arbeitsanstalt für sogenannte "asoziale" Frauen und Mädchen. Die Ausstellung ist nicht schlecht, eine Frottage, ein paar Originalziegel, eine Videodoku, die Berichte der Wissenschaftler*innen, kurz, solide, wichtig, ja -. Aber es bleibt eben eine, der Form nach zwar künstlerische und auch persönliche, aber ein Stück weit wissenschaftliche, also intellektuelle, vielleicht also distanzierende Auseinandersetzung, und ich fragte mich, was ist aber mit der emotionalen Auseinandersetzung, so ein Trauma etc. das wird ja nicht allein durch Geschichtsunterricht etc. überwunden oder auch gerade nicht überwunden sondern im Bewusstsein und in der Nähe behalten. Und ich wurde fündig am gegenüberliegenden Ende des anderen Pavillons, in einem kleinen Raum im vierten Stock, der sehr hell war, sehr weiß, von den Decken hingen weiße Stoffbahnen und Styroporkugeln, die ganz leicht im Wind schaukelten, der Raum war luftig und trotzdem gedämpft, erhaben und trotzdem heiter, trotz der Gipsfigur eines sitzenden Kindes in seiner Mitte. Als ich hereinkam, fand gerade eine Seelenwaschung statt, die ein Mann in Weiß an einer Besucherin vollzog. Es war ein Moment voller Würde. Die Zeremonie dauerte nicht lang, und wurde von dem Mann ohne jede Sentimentalität und ohne Tamtam, aber mit dem Einfühlungsvermögen eines Physiotherapeuten, der er war, angeleitet. Zum Abschluss bekam die Frau einen rosa Marker in die Hand, der Mann blätterte durch Seiten getöteter Kinder und sie wählte eines aus und dann durfte sie in eine Schale voller Sticker mit schönen Sprüchen greifen und einen für sich herausnehmen und das wars und ich hätte heulen können und lachen. Omar Hammouda, der Mann in Weiß, sagte mir danach, er hätte während des Auffädelns der Kugeln, die sozusagen die achthundert Kinder symbolisierten, Shopping Queen schauen müssen. Er sagte auch, es sei ein Kunstprojekt und kein therapeutisches oder religiöses. Danach konnte ich keine Kunst mehr schauen. Und das war mein Tag auf der Parallel.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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