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Sophia Süßmilch - Then I’ll huff and I’ll puff and I’ll blow your house in: Große Gesten

Aufregung gab es bereits mehr als genug, nachdem die örtlichen Christdemokraten zum Boykott der Ausstellung Then I´ll huff and I´ll puff and I´ll blow your house in von Sophia Süßmilch in der Kunsthalle Osnabrück aufriefen. Was folgte, war ebenso erwartbar wie vermeidbar. In der derzeit ohnehin sehr erhitzten Debatte um Cancel Culture versus Kunstfreiheit griffen eingespielte Affektökonomien. Die Fronten wurden schnell geklärt und alle Parteien konnten mit Distinktionsgewinnen bei ihren jeweiligen Zielgruppen rechnen. Der Medienpartner der Ausstellung reagierte mit einer Titelstory. Kommunalpolitiker:innen gaben Erklärungen zum Für und Wider ab. Und in der medialen Berichterstattung wurde mehr oder minder moralische Verwunderung zum Ausdruck gebracht. Eine kulturpolitische Posse wie aus dem Lehrbuch. Doch als die Künstlerin dann Morddrohungen erhielt, war eine Grenze deutlich überschritten.

Die pädagogische Zielsetzung des Jahresprogramms mit dem sprechenden Titel Kinder hört mal alle her! der Kunsthalle misslang. Die gesetzten Themen „rund um Erziehung, Bildung, Generationenkonflikten und dem ewigen Kindsein“ sollten einem breiten Publikum vermitteln werden: „Wer lernt eigentlich von wem? Wer hört wem zu? Oder auch nicht? Wie können sich Menschen unterschiedlichen Alters begegnen? Sollten wir das Kind in uns als Erwachsene bewahren? Und welche Chancen und Möglichkeiten liegen darin?“ Diese Fragen sollten einen offenen Dialog anregen, beschreiben nun aber die ganze Misere. Begegnungen fanden nicht wie erhofft statt. Nun ist erst einmal viel Beziehungsarbeit nötig. Die betont inklusive Ansprache des kuratorischen Konzepts bedient sich der Rhetoriken populärer Familienratgeber und psychologischen Sachbüchern für ein breites Publikum. Geholfen hat dies im konkreten Falle nicht.

Die gezeigte Kunst von Süßmilch markiert bereits mit ihrem märchenhaften Titel ihre Fiktionalität überdeutlich. Die künstlerischen Gestaltungsmittel folgen einem vertrauten Repertoire feministischer Kunst, die seit den sechziger Jahren etabliert sind. Nackte Körper sind vielerorts bewährtes Mittel der Kunst von Performer:innen, von Marina Abramovic bis Florentina Holzinger. Und auch in der Klasse von Ashley Hans Scheirl an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, wo Süßmilch studierte, dürften Fragen von Sexualität und Body Positivity zum festen Bestand der Kolloquien gehört haben. Die Auswahl an Kinder- und Jugendliteratur, die nun in der Kunsthalle Osnabrück begleitend ausliegt, legt nahe, wie unverkrampft und humorvoll der Umgang mit diesen Themen sein kann. Das Getöse um die Ausstellung ist daher schlicht banal.

Äußerst konventionell erscheint die Performance von Süßmilch, die Anstoß der Erregung wurde. Zu wohl temperierter Klavierbegleitung singt und spricht ein Chor wechselnd zwischen kindlicher Naivität und Märchen. In den Liedtexten wird aus der Perspektive von Kannibal:innen erzählt, die ihre Kinder zum Fressen gern haben. Im Zentrum der Inszenierung steht die Plastik eines von der Decke hängenden Fötus. Der ehemalige Kirchenraum der Kunsthalle wurde mit raumgreifenden Fahnen zur Theaterkulisse. Und zwei übergroße Rattenschwänze, Requisiten des Stücks, dürfen natürlich auch nicht fehlen. Diese schlichte Liturgie bedient sich im Fundus der Performancekunst ohne dem etwas Neues hinzuzufügen. Die Wiederaufführung von formelhaften Ausdrucksformen scheint künstlerisches Prinzip zu sein.

Am spannendsten ist dabei eine Serie feiner Zeichnungen. Hier tummeln sich allerhand Fabelwesen und verdichten den Bildraum zu einem rhythmischen Gefüge präziser Strichsetzungen. Deren ornamentale Qualität besticht. Die Hommage an Künstler:innen der Art Brut ist deutlich erkennbar. Süßmilch gelingen hier konzentrierte Bildfindungen, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Schade nur, dass sie durch die großen, aber leeren Gesten der Ausstellung insgesamt nur allzu leicht übersehen werden.

Mehr Texte von Thorsten Schneider

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Sophia Süßmilch - Then I’ll huff and I’ll puff and I’ll blow your house in
15.06 - 20.10.2024

Kunsthalle Osnabrück
49074 Osnabrück, Hasemauer 1
Tel: +49 541 323 21 90
Email: kunsthalle@osnabrueck.de
https://kunsthalle.osnabrueck.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 h


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