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Kunstfreiheit und Gangsta-Rap

Im Rahmen der Schriftenreihe zum österreichischen und europäischen öffentlichen Recht legt Antonia Bruneder eine ausführliche Untersuchung des Grundrechts auf Kunstfreiheit am Beispiel des deutschsprachigen „Gangsta-Rap“ vor. Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz und daneben als ausgebildete Musikwissenschafterin Dramaturgin am Grazer Musikverein für Steiermark tätig. Mit der vorliegenden Arbeit vereint sie offenbar zwei Interessen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Groß ist aber die Zahl der Juristen, die selbst künstlerisch tätig sind, größer noch die Zahl derjenigen unter ihnen, die in den Künsten Erbauung und Ablenkung vom trockenen Berufsalltag suchen, selten dennoch eine berufliche Tätigkeit in beiden Welten. Ebenso selten ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des sogenannten „Gangsta-Rap“, das bislang auch vom Rezensenten kaum wahrgenommen wurde. Zwar handelt die Autorin grundlegende Fragen der Kunstfreiheit an drei konkreten Strafverfahren ab, die wegen ungeziemender Texte ua als Aufforderung zu strafbaren Handlungen und Gutheißung terroristischer Straftaten gegen die Kunstschaffenden geführt wurden, dies bildet jedoch nur eine äußere Klammer des Buches. In den dazwischenliegenden Kapiteln setzt sich Bruneder mit zahlreichen rechtlichen Fragen im Spannungsfeld zwischen Kunst und Recht auseinander. Sie geht von der österreichischen Rechtsordnung aus, in der mit Art 17a StGG erst relativ spät – 1982 – ein eigenes Grundrecht auf Kunstfreiheit verankert wurde, und setzt dies insbesondere zu den Regelungen im deutschen Grundgesetz sowie in der EMRK in Bezug. Gekonnt arbeitet sie die reiche Grundrechtsliteratur ein und setzt sich auch mit der nationalen und europäischen Judikatur eingehend auseinander.

„Gangsta-Rap“, das ist die aus den USA kommende Form des Raps, in der die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt und Erzählungen über Gewalt, Kriminalität, Sexualität und Drogenkonsum in offener, diskriminierender, oft harter und verletzender Weise thematisiert werden. Die Kunstschaffenden stammen zumeist aus den Milieus, denen solche Taten zugeschrieben werden. Sie gelangen mit dieser Art der Auseinandersetzung oftmals zu Popularität und gerade der kalkulierte Grenzgang verleiht ihnen eine Authentizität, gerade auch im Konflikt mit Polizei und Justiz. Dies wird aber, wie die Autorin richtig feststellt, zumeist nicht befriedigend aufgelöst, denn die Frage Straftäter oder Kunstfigur (oder beides) kann dabei zumeist nicht beantwortet werden.

Zur Einordnung all dieser Phänomene bietet die Autorin in einigen Einstiegskapiteln reiche Orientierung. Sie legt diese Auseinandersetzung auch den Justizorganen nahe, die mit derartigen Fällen konfrontiert sind und denen sie laienhafte und unzureichende Beurteilungen vorhält, mögen diese auch im Ergebnis zutreffend sein.

Eine vollständige Nachzeichnung ihrer immer präzisen, teils etwas breiten Argumentationslinien verbietet sich aus Platzgründen. Ich möchte dennoch auf einige Aspekte näher eingehen, die auch für eine in Sachen Rap wenig kundige Leserschaft von Interesse sein könnten.

Abweichend von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts differenziert der OGH bei Art 10 EMRK bereits auf Schutzbereichsebene zwischen „wahren“ und „unwahren“ Behauptungen und schließt daher letztere vom verfassungsrechtlichen gewährleisteten Schutz aus. Eine Äußerung kann demnach auch nur gerechtfertigt sein, wenn sie sich auf wahre Tatsachenbehauptungen stützt oder von diesen ableitet. Die Schwierigkeit der österreichischen Gerichte, sich mit Kunst in all ihren Erscheinungsformen anders als diffus und angstvoll auseinanderzusetzen, hängt damit zusammen und wurde von Alfred J. Noll schon 1995 in „‘Holzfällen‘ vor dem Richter – Juristisches zu Bernhards Kunst und Lampersberg Ehre“ eingehend beschrieben.

Dabei ist es auf die Katastrophe des Nationalsozialismus und seiner vernichtenden Einteilung in eine „gute“ und eine „entartete“ Kunst zurückzuführen, dass jeder Versuch einer Kategorisierung oder gar Normierung, was denn nun Kunst sei und was nicht, entschieden abgelehnt wird. Auch die Judikatur vermeidet jegliche Parameter für eine Definition des Kunstbegriffs, entscheidet dafür aber fast immer im Einzelfall unter starker Bezugnahme auf die jeweilige Intention des Künstlers. Dies führt dann dazu, dass bekannte ältere Entscheidungen (Klaus Manns Mephisto, Felix Saltens Josefine Mutzenbacher) zu einer nicht-deterministischen Inklination des Kunstbegriffs tendieren.

Besonders erhellend sind die von der Autorin eingehend analysierte Literatur und Judikatur zu den Schranken der Kunstfreiheit, wobei ich an Berkas „Gemeinvorbehalt“ und die Beschlagnahme des Flims von Achternbusch „Das Gespenst“ 1983 erinnern möchte. Wenn gesagt wird, „das Strafrecht ist die rote Linie“, ist darauf zu verweisen, dass im Interesse der Kunstfreiheit entgegen dem OLG Graz das OLG Wien 1985 im Verfahren Scrinczi gegen Heinzl das Strafrecht als absolute Grenze der Kunstfreiheit abgelehnt und den Beschlagnahmebeschluss einer Schallplatte aufgehoben hat, woran sich Zeitzeugen, wie der Rezensent einer ist, noch lebhaft erinnern können.

Auch wenn es noch lohnend wäre, den Stand der Spannungen zwischen den einzelnen Grundrechten nachzuzeichnen, kann hier nur auf die wichtigen Kapitel zur Intentionalität von Grundrechtseingriffen verwiesen werden, denen bei den Covidentscheidungen des VfGH im Zusammenhang mit dem Schließen aller Bühnen in den Lockdowns höchste Relevanz zukam. Dass der VfGH in dieser fordernden Ära Gelegenheit fand, sich in den aktuellen Entscheidungen zur Kunstfreiheit eindeutig zu einem verhältnismäßigen Interessenausgleich zu positionieren, imponiert dabei.

Ähnlich wie die Wissenschaft unterliegt auch die Kunst dem Wandel der Zeit und dem der Gesellschaft. Dazu ist nur daran zu denken, wie sich die Künstler vor geraumer Zeit von der figurativen und gegenständlichen zur abstrakten und in der Folge von dieser (vereinfachend ausgedrückt) zum Teil wieder zurückentwickelten, ua zur sogenannte Konzeptkunst mit vielen weiteren Positionen wie Performance, Fluxus oder Objektkunst.

Die Autorin verweist an einigen Stellen auch auf den kürzlich verstorbenen Manfried Welan, der mit Raoul Kneucker schon in den 1970er-Jahren festhielt, dass sowohl Kunst als auch Wissenschaft als kreative Werte anzusehen sind. Das ist nicht unreflektiert, weil im Gegensatz zur Kunstfreiheit Wissenschaft bei Fragen ihrer Freiheit durch den VfGH definiert wird. Wissenschaft ist eben objektivierbar, während der Kunstbereich niemals vereinheitlicht werden kann. Bruneder referenziert auch auf Welan/Kneucker bezüglich deren Einschätzung aus dem Jahr 1977 (also noch vor der Gesetzweswerdung des Art 17a StGG), wonach sich die Kunst- von der Meinungsfreiheit abhebt und abheben muss. Hier ist an Schönberg zu erinnern, der in seiner „Darstellung des musikalischen Gedankens“ die Wissenschaft als danach strebend beschreibt, ihre Gedanken unzweideutig widerzuspiegeln, während die Kunst erlebt werden kann, ohne sie zu beschreiben.

Bruneder bringt diese wichtige Differenzierung auf den Punkt. Die Vorbehaltslosigkeit der Kunstfreiheit stelle die Rechtsprechung vor Herausforderungen, weil Kunst per definitionem abstrakt und mehrdeutig bleibe und ihr der Parameter der Irrealität als dynamische Komponente innewohne. Die Bewertung als Kunst bedingt somit immer ein fiktionales Element. Dem Gesetzgeber kommt dabei kein Spielraum zu, weil er, wie Bruneder unter Berufung auf Neisser belegt, die Freiheit der Kunst nicht aushöhlen können soll. Die damit einhergehenden Wertungen, so Bruneder resümierend, kommen daher im Einzelfall den Gerichten zu. Diese hätten sich der Aufgabe in den der Arbeit zugrundliegenden Verfahren um einzelne „Gangsta-Rap“-Werke aus Graz und aus Deutschland durch eine systematische, womöglich externe (Kunst-)Sachverstand einbeziehende Analyse unterziehen können und müssen. Mit einem Wort, ein kurzer Prozess, sprich eine vorschnelle Wertung, ist gerade in diesen Fällen nicht angebracht.

Die Kehrseite, nämlich die Einbeziehung der Justiz in die Inszenierungen der „Gangsta-Rapper“, zeigt Bruneder abschließend auf. Wenn die Ausführenden ihren Anhängern gegenüber vorgeben, es handle sich bei ihren Werken um Abbilder ihres realen Lebens, gegenüber der Justiz aber in Anspruch nehmen, ausschließlich als Kunstfigur agiert zu haben, tritt ein Widerspruch zutage, den die Ausführenden nur durch ein Bekenntnis zu einer dieser Seiten hin auflösen können.

Damit schließt sich der Kreis auch für den nur juristisch ausgebildeten Leser: Kunstfreiheit kann in Anspruch genommen werden, sofern im Werk die – mit Bezemek: intendierte – Fiktion erkennbar ist. Eine Abbildung einer strafbaren Realität in Form oder mit dem Anspruch eines Kunstwerks tut dies niemals.

Die Arbeit Bruneders kann allen Rechtsanwendern, die sich mit derart heiklen Fragen zu befassen haben, ans Herz gelegt werden. In der Tiefe der Analyse und der Klarheit der Gedankenführung kann sie darüber hinaus für sich selbst bestehen.

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Antonia BrunederKunstfreiheit und Gangsta-Rap
Eine Analyse des Grundrechts auf Kunstfreiheit am Beispiel des deutschsprachigen Gangsta-Rap
Monografie
236 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-7046-9260-3 (Print)
ISBN 978-3-7046-9271-9 (eBook)
Verlag Österreich

Mehr Texte von Nikolaus Lehner

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