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In Motion – Art & Football: Eckige Kunst ums runde Leder

Die Europameisterschaft 2024 in Deutschland gibt diesen Sommer gleich mehrfach Kulturinstitutionen Gelegenheit, den Fußball zum Thema zu machen. Das HKW in Berlin widmet sich dem „Ballett der Massen. Fußball und Katharsis“, das Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert das Theater Fan-Spektakel „Glaube, Liebe, Fußball“ und das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund ermöglicht ein multimediales Panorama zum Fußball in der Kunst mit dem Titel „In Motion – Art & Football“.

Letzteres geht einher mit einem voluminösen Katalog, der Fußballgeschichte und Kunst beleuchtet, darin auch ein Interview mit dem leidenschaftlichen Kicker und Kunsthistoriker Horst Bredekamp – regelmäßig im Berliner Monbijou-Park im Spiel zu sichten – der 2001 das Buch „Florentiner Fußball. Die Renaissance der Spiele“ veröffentlichte: der Ballsport hatte schon seinerzeit eine kunstpolitische Dimension unter den Medicis.

Das Dortmunder Team um Museumsdirektor Manuel Neukirchner hat entlang der teilnehmenden Mannschaften Europas – meist malerische Positionen – aus 200 Jahren recherchiert, die um den Fußball kreisen, als künstlerischer Leiter zeichnete Lutz Engelke verantwortlich. 175 dieser Werke wurden thematisch geordnet und animiert in eine mehrkanalige und 45-minütige auf Immersion angelegte filmische Projektion übertragen: dramaturgisch abwechslungsreich und entsprechend musikalisch unterlegt. 23 Beamer und 45 Lautsprecher verwandeln die 1.000 qm große „Arena“ auf der unteren Ebene des 2015 eröffneten Museums in Trägerschaft der Stadt Dortmund in einem vor allem auf Emotionalität angelegten Erlebnisraum. Eine Bildlegende oberhalb der Arena erschließt die hier durchdachten Themen, zum Beispiel mit formalen und soziologischen Akzenten. Die Bilder selbst sind allerdings in Briefmarkengröße vielleicht ein wenig zu klein geraten.

Originale gibt es hier nicht zu sehen, wenn auch die hauseigene Sammlung in den Obergeschossen mehrere Kunstwerke, etwa von Renée Sintenis, beinhaltet. Die Kosten einer derart umfassend angelegten Präsentation von Originalwerken wären sicher immens gewesen und hätten spezifische museale Gegebenheiten erfordert. Ein separater Projektionsraum ermöglicht aber die Betrachtung von Einzelwerken in Originalgröße. An anderer Stelle sind Computer eingerichtet, die eine individuelle Vertiefung in die Hintergründe einer Vielzahl einzelner Bilder ermöglichen, die gut erarbeitet sind. Spannend und elegant realisiert ist hier im Raum eine Einkanalprojektion, die zeichnerische Werke in ihrem Entstehen als Animation zeigt.

Die Hauptschau hat ihre ästhetisch stärksten Momente da, wo Fotografien von Fußballspielen und -spielern die Hauptressource der Animation bilden, etwa mit Eadweard Muybridge, anders als bei der Malerei, die in der Projektion medial durch die ihr eigene Materialität deutlich stärker gebrochen wird. Der Frauenfußball kommt deutlich zu kurz, allerdings spielen Werke der ehemaligen Fußballerin Josephine Henning eine zentrale Rolle. Sie war am Haus Artist in Residence und liefert mit ihrem Bild „Mädchen mit Taube“ einen Friedensapell mit Bezug auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Diesbezüglich hat die Schau den Mut, auch künstlerische Beiträge aus der Sowjetzeit mit russischem Bezug zu integrieren, etwa El Lissitzky, Alexander Deineka oder Alexander Rodtschenko, auch wenn Russland diesmal nicht an der EM teilnimmt.

Der Katalog der Werke liefert spannende Entdeckungen, nicht nur für ein offen adressiertes Publikum, sondern auch für Menschen aus dem Fach der Kunstgeschichte. Einige Beispiele: Nicolas de Staëls „Parc de Princes“ von 1952, Peter Sorges „Kluge Frauen lassen ihre Männer toben“ von 1970, Maria Kossaks „Der goldene Fußball“ von 2011 oder Maria Lassnigs „Wettbewerb III“ von 2000. Die Publikation vertieft 100 Bilder variantenreicher Sujets umfassender Perspektiven und Stile, und dürfte zum wichtigen Referenzwerk zum Thema Sport und Kunst werden.

Die Essays, unter anderem von Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die auch zum Kreis von vier wissenschaftlich Beratenden gehörte, verbinden Fußball- mit Kunstgeschichte. Die historische Spannbreite reicht vom Ikosaeder Leonardo da Vincis bei Manuel Neukirchner bis hin zu generativen Systemen, die als KI firmieren, bei Lutz Engelke. Sie geben informierte Anstöße und einen Überblick über mediale, philosophische und soziologische Erwägungen: lesbar, keineswegs zu arkan. Für Spezialisierte mit puristischem Anspruch wird das noch zu wenig sein, aber die Ausstellung mag vielen Besuchenden neue Gebiete erschließenden sowohl Fußballbegeisterten und Aficionados der Kunst.

Da die Arena im Übrigen gelegentlich für geschlossene Einzelevents und Public Viewing genutzt wird, empfiehlt sich vor dem Besuch der Ausstellung eine telefonische Erkundigung nach der aktuellen Zugänglichkeit. Der Katalog im Hardcover mit 344 Seiten kostet im Buchhandel 48 € und wurde in deutscher und englischer Sprache aufgelegt.

Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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In Motion – Art & Football
27.05 - 30.09.2024

Deutsches Fußballmuseum
44137 Dortmund, Platz der Deutschen Einheit 1
Tel: +49 231 22 22 1954
Email: ticketservice@fussballmuseum.de
https://www.fussballmuseum.de
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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