Werbung
,

Ist der Ruf erst ruiniert

Menschheitsentscheidende Schritte müssen nicht groß sein. Daran mögen sich Sam Bardaouil und Till Fellrath, die 2022 ins Amt gekommenen Direktoren des Hamburger Bahnhof, Berlin, erinnert haben, als sie den BMW-gesponserten „Preis der Nationalgalerie“ (PNG) kurzerhand von den Füßen auf den Kopf gestellt und in einen Trostpreis verwandelt haben. Man will künftig nämlich nurmehr Gewinner haben – bei der diesjährigen, zwölften Ausgabe sind es derer vier: die für Krach-Techno bekannte Komponistin Pan Daijing, die installativ mit ökologischen Fragestellungen beschäftigte Künstler:in Dan Lie, die Klangskulpteurin Hanne Lippard und der Filmemacher James Richards. Einen BMW bekäme man für das bisschen Preisgeld eh nicht. Dann lieber gleich „ein Zeichen für kollektives Denken in der Kunst“ setzen, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Der Hamburger Bahnhof zeichne „unterschiedliche künstlerische Positionen als gleichwertig und in direktem Dialog zueinander mit einem gemeinsamen Preis aus.“

Was die verschiedenen Werke künstlerisch „gleichwertig“ gelungen und preiswürdig vor allem gegenüber den anderen Bewerbern macht, geht aus der dürren Begründung der siebenköpfigen Jury – vier internationale Preisrichter plus die beiden Direktoren sowie eine Kuratorin des Hamburger Bahnhof – nicht hervor: Lippards Arbeiten schüfen etwa „minimalistische, aber eindringliche Begegnungen.“ Richards verhandle „Fragen von Geschichte und Erinnerung, Archivierung und Konservierung.“ Ja, warum auch nicht?

Die Nominierten-Schau, aus der zuvor der mit einer Soloschau belohnte Sieger gekürt worden war, steigt nun selbst zur Preisträgerausstellung auf. Die Short- wurde aus einer Longlist mit 70 Bewerberinnen und Bewerbern ermittelt. Das Vorschlagsrecht dazu hatten zwölf Expert:innen sowie die Kuratoren des Hamburger Bahnhofs und der Förderverein Freunde der Nationalgalerie – der den Preis traditionell ausrichtet. Kommentieren wollte man das neue Verfahren seitens der Freunde auf Anfrage von artmagazine nicht. Wird also schon passen.

Doch musste der 2000 ins Leben gerufene Premiumpreis in über zwei Jahrzehnten bereits mächtig Federn lassen. Einst mit 100.000 D-Mark prominent dotiert, ist der PNG heute rein symbolischer Natur. Er bezahlt jetzt Neuproduktionen der vier Gleich-Preisträger, die anschließend in die Sammlung des Hamburger Bahnhof eingehen. Das, so die Pressemeldung ungeniert, sei eine „zeitgenössische Form des Sammelns.“

Nicht, dass das Preiswesen nicht genug in der Krise wäre: Lang vor Juliane Lieberts und Ronya Othmanns Kritik an der Auswahlpraxis des Internationalen Literaturpreis des HKW monierten die PNG-nominierten Künstlerinnen Sol Calero, Iman Issa, Jumana Manna und Agnieszka Polska 2017 in einem gemeinsamen Statement scharf, dass es während des Verfahrens im Hamburger Bahnhof mehr um ihre „gender and nationalities“ gegangen sei als um den künstlerischen „content.“ Was man der lieblos gemachten Nominierten-Schau damals durchaus ansah. 2019 teilten, andererseits, die vier für den Londoner Turner-Preis nominierten Künstler die Auszeichnung untereinander auf – als Geste der Ermächtigung und Solidarität, nicht direktorial top down dekretiert.

Kaum im Amt hatten Bardaouil und Fellrath ihr neues „Procedere“ ins Spiel gebracht, das aus einem Preis der Nationalgalerie ein Trostpflaster für den nationalen Eigenbedarf macht. Sie werden bei ihrem „Zeichen für kollektives Denken“ schon bedacht haben, dass man neben den Verlierern zuallererst die Spielleiter abschaffen muss, sollen alle gleich gewinnen.

--
⤇ Zur Website der Ausstellung

Mehr Texte von Hans-Jürgen Hafner

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: