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Grada Kilomba - Opera to a Black Venus: Geschichten von Resilienz und Widerstand

Die Ausstellung Opera to a Black Venus der Künstlerin Grada Kilomba (* 1968, Lissabon, lebt und arbeitet in Berlin) beginnt mit einer Einladung: Die Installation Labyrinth (2024), zu sehen im ersten Raum, macht es möglich, denselben auf unterschiedlichen Wegen zu betreten. Lange schwarze Stoffbahnen, an dünnen Seilen von der Decke hängend, schaffen kleine Gänge und erinnern an Gassen, aus denen im Theater, im Ballett und in der Oper die Darstellenden auf die Bühne treten. In Labyrinth werden die Besucher:innen dazu eingeladen, die Rolle von Performer:innen zu übernehmen, die ihren Weg durch die Ausstellungshalle variieren, dabei immerzu neue Perspektiven einnehmend. Ein spielerisches Erfahren des Raumes und gleichzeitig eine Einladung zu einer nutzbringenden Übung – übertragen auf das Denken und Handeln des Menschen ist die Fähigkeit zu Varianz keine kleine Sache. Denn in der Regel ist der Mensch ein Gewohnheitstier, seine Denk- und Handlungsmuster folgen ausgetrampelten mentalen Pfaden; sich eine neue Route durch unwegsames Terrain zu bahnen ist unkomfortabel, ja anstrengend und zuweilen schmerzhaft – aber immer gewinnbringend.

Grada Kilombas Installation Labyrinth – gewissermaßen der erste Akt ihrer der Schwarzen Venus gewidmeten Oper – geht allerdings über diese individuelle Anstrengung hinaus. Es geht hier um die postkoloniale Gesellschaft und ihre Fähigkeit, vermeintliche Allgemeingültigkeiten zu verlernen, althergebrachte Narrative zu hinterfragen und neuen Geschichten zuzuhören. Labyrinth, gleichsam wie ihre gesamte künstlerische Praxis ist eine Einladung an uns, unsere Art des Geschichtenerzählens zu erneuern und, ja, zu korrigieren. Kilomba selbst macht uns vor, wie: Indem die bisher unerhörten, zum Verstummen gebrachten Geschichten und Perspektiven in die Erzählstränge des Westens einfügt werden. Sie hinterfragt Konzepte von Wissen, Gewalt und Wiederholung und kehrt immer wieder zu folgenden zentralen Fragen zurück: Welche Geschichten werden erzählt? Wie, wo und vor allem von wem werden sie erzählt?

In Grada Kilombas erster institutioneller Einzelausstellung in Deutschland bringt die interdisziplinäre Künstlerin, Autorin und Theoretikerin ältere Werke mit neuen Arbeiten in einen Dialog. Zu letzteren gehört neben Labyrinth auch die eigens für diese Schau produzierte und zentrale Ein-Kanal-Video-Installation Opera to a Black Venus (2024): Vor einer schroffen Steinwand ist ein Chor schwarzer Männer und Frauen zu sehen, dessen gemeinsamer Gesang das Atmen der Körper ist. Zwei ebenfalls schwarze Tänzer:innen nähern sich mit rudernden Armbewegungen der Kamera und verschwinden aus ihrem – und unserem – Blickfeld. „What would the bottom of the ocean tell us tomorrow, if emptied of water today?” – „Was würde uns der Meeresboden morgen sagen, wenn man ihn heute entleeren würde?” Diese Frage, die am Ende der Oper auf der Leinwand erscheint, begleitet die Besucher:innen durch die Ausstellung und ist Ausdruck einer empfundenen Trauer und Wut. In einem Interview mit Kuratorin Çağla Ilk beschreibt Kilomba unsere Gegenwart als eine von außerordentlicher Brutalität, Schmerz und Gewalt geprägte Zeit. „Was es noch unbegreiflicher macht“, so Kilomba, „ist, dass diese Gewalt nicht nur stattfindet, sondern auch toleriert wird.“

Die skulpturale Installation 18 Verses (2022) veranschaulicht, wie die Künstlerin anhand ihrer minimalistischen Bildsprache komplexe Erzählstränge inszeniert: Die im sechsten Raum angeordneten ruß-schwarzen Holzstämme sind bereits aus der Installation und Performance O Barco | The Boat (2021) bekannt, die im Kurpark an der Baden-Badener Lichtentaler Allee zu sehen war. Jeder einzelne Block trägt einen in Gold gefassten Vers, der Teil eines von Kilomba verfassten Gedichts ist. Die Verse sind in mehrere Sprachen übersetzt – Yoruba, Kimbundu, Kapverdisches Kreolisch, Portugiesisch, Englisch und syrisches Arabisch – und evozieren ein vielschichtiges Gefüge: Es geht um koloniale Beziehungen, um die Wiederholung von Gewalt und um den Weg der Migrant:innen über das Mittelmeer, der oft tödlich endet.

Zumeist enthalten Kilombas Werke nicht nur ein tragisches, sondern auch ein ermächtigendes Moment: Opera to a Black Venus und 18 Verses erinnern nicht nur an die Opfer von kolonialer Gewalt, an die Vertriebenen und Toten. Die Werke berühren auch die Geschichte Schwarzer Resilienz, den Widerstand und die Überlebens- und Widerstandsstrategien migrantischer Gemeinschaften.

Diese Themen kehren im Verlauf der Ausstellung, die in neun Akte unterteilt ist, immer wieder.

In Akt vier und acht sind zwei Werke ihrer Trilogie Illusions (2016-fortlaufend) zu sehen. In dieser Werkreihe nimmt Kilomba klassische Motive der griechischen Mythologie sowie die darin enthaltenen existentiellen Fragen auf und übersetzt sie in den postmigrantischen Kontext. Die Trilogie vereint Performance, Choreografie, Video und Installation und verdeutlicht so ihren komplexen, interdisziplinären Ansatz. In Illusions Vol. III Antigone (2018) wird nicht etwa das Verhältnis von Macht und Widerstand fokussiert, sondern die Bedeutung, die Rituale und Zeremonien für das Erinnern der Toten haben. Bezogen auf die Migrant:innen, von denen u.a. 18 Verses erzählt, werden in Illusions Vol. III Antigone folgende Fragen schmerzhaft dringend: Welche toten Körper erhalten das Recht eines Begräbnisses und wessen Hinterbliebene erhalten das Privileg der Trauer und der Erinnerung?

Kilomba übernimmt hier einmal mehr die Position der Erzählenden, die uns ihre Interpretation des bekannten Mythos überliefert. Sie tut dies, indem sie den Blick auf zuvor Unbeachtetes und den Fokus auf zuvor zum Verstummen Gebrachtes lenkt.

Am Ende des Rundgangs erreichen die Besucher:innen erneut das Labyrinth. Die neuen Wege auszuprobieren, liegt nun bei ihnen.

Mehr Texte von Ferial Nadja Karrasch

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Grada Kilomba - Opera to a Black Venus
21.06 - 20.10.2024

Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
76530 Baden-Baden, Lichtentaler Allee 8 A
Tel: +49 7221 30076400, Fax: +49 7221 38590
Email: info@kunsthalle-baden-baden.de
http://www.kunsthalle-baden-baden.de
Öffnungszeiten: Di - So 10 - 18 h, Mo geschlossen


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