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Independence Days

Es können Welten liegen zwischen zwei Ausstellungen während des Independent Space Index Festivals, und nicht nur zwischen den Ausstellungen, sondern zwischen den Ausstellungsräumen, in denen sie stattfinden. So kann es sein, dass man sich einmal an einem Ende der Stadt im rauschenden Durcheinander der Wiedereröffnung von Schleuse (jetzt in der Schelleingasse, 4. Bezirk) in einem herausgeputzten, himmlisch hellen Setting vor und in einem von Michael Franz ausgestellten Grundriss des neuen Raumes wiederfindet (als Besucher vor dem Werk, als roter Punkt innerhalb desselben; "You & me (5)", 2024) - nur einige Stunden, nachdem man in die Garage der alten WU gelotst wurde, um dort von Stefan Pani vor zwei idente Kombis, einen in den Kofferraum verpackten White-Cube und den Begriff "postinnovative Inszenierung" gestellt zu werden.

54 gelistete Ausstellungen gab es dieses Jahr auf dem Festival zu sehen, und eine ganze Bandbreite an verschiedenen Agenden und Ansätzen zu erleben. Als Angebot zur Orientierung bietet die Website des Festivals dieses Mal ein tool zur Filterung der Ergebnisse. Jede Ausstellung ist mit tags versehen, manche haben mehrere, andere nur einen. Unvermeidlich entstehen dadurch auch Ungleichgewichte: während die eine Ausstellung durch die alphabetische Reihung der Kunsträume und großzügiges tagging bei ziemlich jeder Filterung ganz oben steht, machen sich andere rar.

Online ist online, vor Ort ist vor Ort. Und vor Ort kann die Ausstellung, die sich online zurückhaltend gab, das größte Publikum ziehen. So verzichtete man bei Laurenz auf jedes tagging, was ja immer auch ein labeln ist, und flog so völlig unter dem Radar - die Ausstellung von Lukas Meßner und Ivan Moudov ist aber auch schwer zu fassen in solchen Schlagwörtern. Nicht nur anlässlich des Festivals finden bei Laurenz Auseinandersetzungen mit Ausstellungspraxis und Ausstellungsarchitektur statt, und so war eine der prägnantesten Arbeiten auf diesem Festival eine hier gefundene kleine Kommode, die in ihren Schubladen mit einer ganz eigenen Gruppenausstellung aufwartete - the art of showing art, das ist ja irgendwie auch ein Leitmotiv, unter dem Index und Festival stehen. Die Verweigerung der Anbiederung an schlagwortbasierte Suchmaschinen tat der Vernissage übrigens keinerlei Schaden - gemeinsam mit der nahe gelegenen WAF Galerie und Ve.Sch Kunstverein ist hier eines der Cluster, das hochfrequentiert von einem vor allem kunstunigeprägten Schwarm ist.

Übrigens hat jede:r, die:den man hier antraf, selbst einen eigenen Kunstraum (natürlich nicht). Einer der spannendsten Neuen ist einer, der unter dem Namen prosopopoeia läuft und von Inga Charlotte Thiele geleitet wird. Die Künstlerin arbeitet selbst viel mit Text und legt den Fokus des Raumes auf ebenjene Gattung. Die jetzt zu sehenden Arbeiten von JJJJJerome Ellis machten schnell klar, dass Text und Sprache hier als Material sehr ernst genommen wird.

Index, trotz aller Heterogenität doch auch eine Art Entität mit Zielen, Macht und Verantwortung, und der Begriff des Off- oder Independent-Spaces sind grundsätzlich offen gehalten. Immerhin finden sich unter den teilnehmenden Räumen auch ein museum in progress, Neuer Kunstverein Wien oder Queer Museum Vienna. Ganz im Geiste der Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstverständnis konnte auch die bei 1zwei3, in den früheren Räumen der Stiege13, angebotene "Guided tour to escape the art world" gesehen werden, wenn der Titel auf den ersten Blick doch auch dem omnipräsenten Kunstwollen entgegen zu laufen schien. Ich hatte diskursschwere Institutionskritik erwartet, und wurde von einem Escape-Room-Setting überrascht, in dem Figuren und Mechanismen der Kunstwelt persifliert wurden und das Verhältnis zu den Werken einer Ausstellung mal anders gedacht wurde.

Off-Spaces bringen nicht unbedingt andere Arten von Kunst hervor. Bis auf Ausnahmen, wird an traditionellen Vorstellungen von dem, was eine Ausstellung ist, wenig gerüttelt. Die vielen Räume in Wien potenzieren aber die Zahl der Ausstellungen und damit die Möglichkeiten für Künstler:innen, auszustellen. Mit den verschiedenen Schwerpunkten, die die einzelnen Räume dabei setzen, wird dabei vieles integriert, über Generationen, Thematiken und Ländergrenzen hinweg.

Die Finanzierung der meisten Off-Spaces durch öffentliche Gelder macht sie zwar abhängig von diesen und hat entscheidenden Einfluss auf die jeweilige Programmgestaltung und mögliche Werke. Im Gegensatz zur kommerziellen Galerie aber steht der Faktor Kapital nur am Anfang, und nicht am Ende des Produktionsprozesses. Überhaupt ist der Prozess viel wichtiger als das Ergebnis: die Möglichkeit für die leitenden Personen, einen Raum zum eigenen Arbeiten zu haben, aber auch zum Aufbau eines Netzwerks; die Chance für Künstler:innen, die Mechanismen von Ausstellungsentstehungen zu erleben und Feedback zu testen. Und insofern trügt es wohl nicht, wenn das Gefühl entsteht, die Partys seien das eigentlich wichtige an den drei Tagen Festival.

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Eine Dokumentation des Independen Space Index Festival gibt es auf der Website ⤇ www.independentspaceindex.at

Wir haben vor dem Festival mit Francis Ruyter und Wilhelm Binder über die Bedeutung des Festivals für die Wiener Kunstszene gesprochen.
⤇ Hier geht es zum Interview

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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