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Barry Le Va - In a State of Flux: Alles geplant, nichts fixiert

Splitterndes Glas, Revolverschüsse, das Geräusch von Hackbeilen, die sich mit Schwung in die Wand bohren, um dort stecken zu bleiben – unweigerlich imaginiert man sich im ersten Raum dieses Ausstellungsgiros eine martialische Kakophonie der Zerstörung. Allesamt sind sie Arbeiten von Barry le Va (1941-2021) aus den späten 1960er / frühen 1970er Jahren und stehen im Zentrum einer umfassenden Retrospektive, der ersten nach seinem Tod. Bei dem Werk eines Künstlers, der alles akribisch genau zeichnerisch plant, die Ausführung vor Ort jedoch formal ergebnisoffen hält, und den Moment der Improvisation als werkbestimmendes Element versteht, stellt dies eine enorme kuratorische Herausforderung dar. Auch deshalb wird ein Fokus auf das vorbereitende, zeichnerische Werk des dreifachen documenta-Teilnehmers Barry le Va gelegt. Die von Chistiane Meyer-Stoll kuratierte Ausstellung gerät nachgerade zu einem didaktischen Lehrbeispiel zum Umgang mit Exponaten von prozessbasierten, raumgreifenden Installationen.

„Skulptur als ein vollendetes, völlig eindeutiges Objekt ausschliessen - Einen Eindruck von Ganzheit ausschliessen und sich auf Einzelteile, Fragmente, unvollständige Handlungen und Strukturen konzentrieren“, erklärt Barry le Va, der als einer der Erneuerer der Skulptur nach 1960 gilt, in einer „Note“ 1989. Der Boden wird hier zum Experimentierfeld, der „Grund“ als Basis für alles Weitere, was sich da Entwickeln möchte. Im Umgang mit den Werken bedeutet das für nachfolgende Generationen, genau den Anweisungen und gezeichneten Anleitungen zu folgen oder aber konservatorische Lösungen für das Depot zu entwickeln, wie etwa für „Tangle II (Double Join)“. Wie sich das sorgsam gelegte „Gewirr“ aus geknoteten Filzbändern und Schnüren gegenwärtig als Bodenarbeit präsentiert, entspricht der Handschrift des Künstlers. Gelagert wird das instabile Notat mit unzähligen Stichen auf Stoff fixiert und eingerollt.

Einem Grafikkabinett, in dem das Denken und Entwickeln auf Papier die enge Verbindung zwischen Zeichnung und Skulptur in diesem Œuvre verdeutlicht, folgen spätere Arbeiten von einer unverhofften Multidiszipliniarität und Buntheit. Auch das, so staunen wir, macht diesen Vertreter des Postminimalismus aus. Filz von kräftiger Farbigkeit gerollt, gefaltet, geschnitten wird gemeinsam mit Stahlkugeln zu nachgerade heiteren Versuchsanordnungen, Farbholzschnitte werden zu eingängigen Partituren. Während für „Right Angular Section (on a Diagonal, 1969“ ein Teil des Parkettbodens für die Dauer der Ausstellung unter einer dünnen, flüchtigen Kreideschicht verschwindet, bildet eine „Bunker Coagulation (Pushed from the Right), 1995/2005“ in diesem Raum einen eher monumentalen, dunklen Gegenpart und belegt, dass die Quellen aus mitunter völlig unterschiedlichen Bereichen stammen. In diesem Falle „treffen Architektur und Befestigung, Skulptur und Bezüge zur Blutgerinnung sowie andere Aktivitäten aufeinander. Die Stabilität der Architektur wird mit dem Konzept der Fluidität des Blutes im Körper kontrastiert“, wie der Künstler in einem Interview 2005 erklärt.

Im letzten Raum schließlich wird wird mit „Accumulatet Vision: Series II“ eine Installation der Whitney Biennale von 1977 rekonstruiert und für die hier gegebene räumliche Situation adaptiert. Im Begleitheft finden sich hierzu und generell Überlegungen des Künstlers: „Nun hoffe ich, die Menschen finden heraus, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie zu sein scheinen (…) Ich hoffe, sie lernen etwas über sich selbst. Ich möchte, das sie in Situationen kommen, in denen sich das, was sie für richtig hielten, plötzlich als falsch erweisen kann. Man kann zum Beispiel ein Stück von >Accumulated Visions< durcharbeiten und auf halben Weg feststellen, dass das, was man zu verstehen glaubte, nicht mehr zu den zusätzlichen Informationen passt, die man zusammengetragen hat.“

Danach betritt man den Raum, mit dem die Ausstellung beginnt, kommt ins grübeln und erwägt eine Wiederholung des Rundgangs.

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Die Ausstellung wird von einer dreibändigen Publikation begleitet, die am 12.September, 18.00 von der Kuratorin Christiane Meyer-Stoll im Gespräch mit Rolf Ricke präsentiert wurde. Der Galerist und Sammler, der dieses Jahr seinen 90. Geburtstag feiert, gilt als einer der ersten Vermittler der-Kunst der USA und stellte Barry Le Va 1970 erstmals in Europa aus. Schlüsselwerke seiner Sammlung befinden sich heute in den Beständen des Kunstmuseum Liechtenstein, dem Kunstmuseum St.Gallen und dem Museum Moderner Kunst Frankfurt.

Weitere Stationen der Ausstellung sind Fruitmarket, Edingburgh (26.Oktober 2024 - 2.Februar 2025) und im Museum Kurhaus Kleve (Frühjahr 2025).

Mehr Texte von Daniela Gregori

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Barry Le Va - In a State of Flux
26.04 - 29.09.2024

Kunstmuseum Liechtenstein
9490 Vaduz, Städtle 32
Tel: +42 3-235 03 00, Fax: +42 3-235 03 29
Email: mail@kunstmuseum.li
http://www.kunstmuseum.li
Öffnungszeiten: Di-So 10-17, Do 10-20 h


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