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Stadtgeschichte(n)

Wien hat sein neues Museum. Nach einer Bauzeit von knapp vier Jahren wurde am 6. Dezember der neu adaptierte Museumsbau eröffnet. 20 Jahre hat es gedauert, von den ersten Gesprächen, dass der Bau für das „Historische Museum der Stadt Wien“ von Oswald Haerdtl am Rand des Karlsplatzes langsam zu klein werde für die Anforderungen an ein zeitgemäßes Stadtmuseum, über diverse Ideen von Neubauten an der Peripherie und die lange umstrittene Wettbewerbsentscheidung für das Konzept der Winkler + Ruck Architekten (Klagenfurt) mit Ferdinand Certov (Graz). Von knapp 7.000 m² Nettonutzfläche auf rund 12.000 m² ist das Wien Museum um einen neun Meter hohen Aufbau und unterirdische Erweiterungen gewachsen, wobei die beiden neuen Geschosse nicht auf dem alten Bau aufliegen, sondern mit diesem über eine eigene Tragekonstruktion nur über eine 8 cm breite Fuge verbunden sind. Das gesamte Museum ist nun als grünes Museum umweltzertifiziert, verfügt über spezielle Fenster, die den Bau im Sommer kühl halten und im Winter isolieren und wird durch Geothermie und Photovoltaik mit Energie versorgt. 108 Millionen Euro, die zur Gänze von der Stadt Wien getragen wurden, hat die Renovierung gekostet, rund 27 Millionen Euro stehen Direktor Matti Bunzl und seinem Team als jährliches Budget zur Verfügung, wobei damit auch die 16 weiteren Standorte des Wien Museum finanziert werden, darunter etwa die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten und die Otto Wagner Kirche am Steinhof und die Bezirksmuseen.

Erste Objekte, wie z.B. der „Praterwal“, der in der zentralen Halle über den Köpfen der Besucher:innen schwebt, wurden schon vor über einem Jahr ins Wien Museum gebracht, danach erst startete die Neuaufstellung der zentralen Ausstellung, die die Geschichte der Stadt Wien von der Frühzeit bis zur Gegenwart anhand von 1.700 Objekten erzählt.

Der Rundgang beginnt im Erdgeschoss mit ersten Siedlungen an der Donau vor rund 8.000 Jahren und einem Mammut-Stoßzahn, der 1903 bei Bauarbeiten für die neue hohe Brücke gefunden wurde. Rasch geht es dann über die Römerzeit zum Mittelalter und der Verleihung des Stadtrechts im Jahr 1221 und natürlich die Baugeschichte des Stephansdoms bis zu den Belagerungen durch die Osmanen 1529 und 1683.

Über die mehrgeschossige zentrale Halle, vorbei an den Originalfiguren des sogenannten Donnerbrunnens und dem Schriftzug des ehemaligen Südbahnhofs geht es aufwärts zur Zeit des Barock, über Biedermeier und die Ringstraßenzeit zum Wien um 1900. In diesen Abteilungen spielt das Wien Museum seinen zweiten großen Trumpf aus, denn es beherbergt nicht nur eine historische Sammlung sondern vor allem auch gut 50.000 Kunstwerke bis hin zu aktuellster Kunst aus den Ankäufen der Kulturabteilung. Mit Egon Schieles Porträt seines Förderers Arthur Roessler, Gustav Klimts Bildnis von Emilie Flöge oder der herausragenden Skulptur einer Hexe von Teresa Feodorowna Ries und vielen weiteren Bildern, Grafiken und Skulpturen erzählt die Dauerausstellung die Stadtgeschichte nicht nur anhand der Geschichte der Herrschenden und der Oberschicht. Immer wieder geht es neben den Trophäen der Kunst- und Kulturgeschichte auch um das Leben der Bevölkerung, um Arbeit, Alltag und Freizeit. Im Kapitel über das „Rote Wien“ kehrt das Museum die Errungenschaften sozialdemokratischer Politik hervor, macht aber auch nicht halt vor den Schattenseiten der Geschichte, wie etwa jener von Adolf Grünsfeld, der die Nummer 161 hatte auf der Liste jener Juweliere, die von den Nationalsozialisten enteignet wurden.

„Wien ist eine alte abscheuliche Stadt.“, schrieb Johann Nikolaus Becker, Jurist und Schriftsteller im Jahr 1798 über die Donaumetropole. Wien hat viele Jahre gebraucht, um sich vom Schrecken und den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs zu erholen. Kunst und Architektur waren die ersten, die die Depression durchbrechen konnten. Die Aktionisten, die Maler:innen um die Galerie nächst St. Stephan, Architekten wie Hans Hollein und Haus-Rucker-Co machten den Weg frei für die Erneuerung der Stadt auch in Verwaltung und Politik. Die letzten beiden Kapitel der Chronologie zeichnen diesen Weg nach und wollen die Besucher:innen in die aktuellen Fragen der Stadtentwicklung einbinden - soferne man am Ende des langen Rundgangs noch die Energie dazu aufbringen kann. Wiederholte Besuche des Museums sind also anzuraten. Dem steht außer persönlichem Zeitmangel jedenfalls keine finanzielle Hürde entgegen, denn die große Dauerausstellung des Wien Museum kann gratis besucht werden.

Alle Infos und gratis Zählkarten für die ersten Wochen gibt es unter --> wienmuseum.at

Mehr Texte von Werner Remm

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