Thomas Feuerstein - Whole Dearth Catalog And Good Rotten Goods: Der Gesellschaftschemiker
Er hat Alkohol aus dem Atem von Ausstellungsbesucher:innen destilliert und ein Exemplar der „Phänomenologie des Geistes“ von Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat er von Bakterien in Zucker verstoffwechseln lassen, mit diesem dann Gehirnzellen gefüttert. In seinen Installationen werden Flüssigkeiten durch Rohrsysteme gepumpt, die sich etwa um eine Skulptur im öffentlichen Raum winden und durch Photosynthese essbare Algen erzeugen.
Thomas Feuersteins Inszenierungen sind biologische Versuchsanordnungen, die Rückschlüsse auf die Verfasstheit unserer globalen Zivilisation zulassen. So wie das durch ein wenig Hochprozentiges beflügelte Gespräch über Kunst im Ausstellungsraum wiederum die Destillation von Alkohol beschleunigt, die Kommunikation also direkte Auswirkungen auf die Produktivität demonstriert, beweisen die Hervorbringungen des Geistes und die Verdauung ihrer dank Gutenberg manifesten Massenverbreitungsmedien, dass Ideen nicht nur im Ideellen verhaftet bleiben müssen sondern direkt das Wachstum jener Zellhaufen fördern, in denen elektrochemische Vorgänge ein Weiterdenken ermöglichen und somit gesellschaftliche Evolution nähren.
In der Galerie Thoman begegnen wir zuerst einer spinnenartigen, meterhohen Figur, deren Auswüchse überdimensionalen, humanoiden Skelettteilen ähneln. Anklänge an Louise Bourgeois‘ Maman mischen sich mit Erinnerungen an den von der Bohnenranke gefallenen Riesen. Die zugrunde liegende Metallstruktur ist von einer bräunlichen Masse überzogen, die sich auch auf einer nebenstehenden, freistehenden Figur wiederfindet. Ähnlichkeiten mit Giacomettis Schreitenden sind unübersehbar, die überlange Nase lässt aber an Lügengebilde denken. Werden wir getäuscht? Ein Bein der Spinne steht nicht auf dem Boden, sondern in einem Glaszylinder, in dem eine helle Flüssigkeit blubbert. Deutlich ist der Auflösungsprozess des Überzugs zu erkennen. Nichts ist, wie es scheint. Vorschnelle Zuschreibungen zerschellen an der metallisch glänzenden Oberfläche der Raumstrukturen.
Schwarze Schläuche führen von der Struktur in den hinteren Teil des Ausstellungsraums. Dort befindet sich eine Apparatur, deren Laborcharakter nur durch die von Thomas Feuerstein schon früher verwendete invertierte Silhouette einer Mickey Mouse gebrochen wird. Wieder wabert Flüssigkeit in einem Gefäß, steigen Gasblasen auf. Wird hier die Säure produziert, die am anderen Ende das Spinnenbein in Fetzen frisst?
Nicht edle Bronze, sondern Polyhydroxybutyrat, kurz PHB ist Ausgangsstoff für Feuersteins aktuelle Produktion. Mit dem von Bakterien produzierten, nicht wasserlöslichen Bio-Kunststoff, veranschaulicht er den nötigen Wandel in unserem profitgetriebenen Wirtschaftssystem. Der von den Bakterien geerntete Stoff kann von diesen wieder metabolisiert, also verdaut werden und bildet so die Basis für eine Kreislaufwirtschaft. Die Petrochemie, deren Siegeszug in der Frühzeit der Disney’schen Comics-Fabrik begann, kann damit in weiten Bereichen abgelöst werden von nachhaltiger Produktion der Bakterienkulturen.
Thomas Feuerstein erkundet die Wachstums- und Abbauprozesse der winzigen Lebewesen gemeinsam mit Wissenschafter:innen der Universität Innsbruck als künstlerischer Forscher, für den Biochemie nicht nur im Mikrokosmos der Nährlösungen, sondern auch im Makrokosmos unserer gesellschaftlichen (Herrschafts)Strukturen wirksam wird.
Mit „Konfabulation“ wird im Ausstellungstitel ein medizinischer Begriff aus den Neurowissenschaften zitiert, um diesen in Form einer laborartigen Versuchsinstallation aus dem psychischen Raum der Identitätsbildung in den Kontext kultureller Phänomene zu rücken.
25.11.2023 - 25.02.2024
Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
1010 Wien, Seilerstätte 7
Tel: + 43 1 512 08 40
Email: galerie@galeriethoman.com
http://www.galeriethoman.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-18, Sa 11-15 h