Alina Kunitsyna, Markus Orsini-Rosenberg >es fließt<: Der Fluss des Lebens
„Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, denn alles fließt und nichts bleibt.“ Gräbt man in der derzeitigen Ausstellung der Galerie3 tiefer, schwingt die heraklitische Panta-Rhei Formel nicht nur im sprechenden Titel „es fließt“, sondern auch in den einzelnen Werken als philosophischer Unterbau mit. Zunächst einmal liegt diese immerwährende Bewegung und Wiederholung im Sujet der Malerei der beiden ausgestellten Künstler:innen selbst verborgen: Bei Orsini-Rosenberg ist es das natürliche Fließen von dort nach da strebender Ströme. Interessanterweise reduziert sich das Rauschen hier aber nicht nur auf von ihm gezeichnete Gewässer, Seen und Flüsse, an die man zugegebenermaßen hier zuvorderst denkt, sondern findet sich auch in Gräsern oder einer Feuerstelle auf der Weide in Lagerfeuer am Fluss wieder. Da ist eine gewisse Dynamik da, die das Nicht-Beschreibbare, Flüchtige - wie einen sanften Windstoß - ins Bild bringt. Selbst gezeigte Waldlandschaften von Ulmen und Obstbäumen scheinen den Fluss der Bewegung in sich aufzunehmen. Es mutet fast so an, als Fließen sie nach oben, all die Äste und Stämme, der Sonne entgegen. Alina Kunitsyna hingegen bringt die Fluidität von Alltagsgegenständen auf die Leinwand. Da die emporstrebenden, in die Vertikale wachsenden Bäume, die dem horizontalen Fließen des Wassers entgegenstreben, um sich zeitgleich mit diesen zu vereinen, dort halb volle und halb leere Weingläser sowie Arrangements von fließenden Klamottenstücken, Tüchern und Decken, die über das Bild hinausweisen. Man findet ein ungleiches Paar Socken, der Verstand suggeriert, dass außerhalb des gezeigten Inhaltes noch ein kongruentes Element bestehen muss. Und so fließt der Blick aus dem Bild heraus, auf das, was nicht unmittelbar gezeigt wird, doch unabdingbar mitschwingt.
Die Gefäße mit blutrotem Inhalt – in einem Falle ist es ein grüner Smoothie in praktischen Take-Away Bechern – sind dann den Kleidungswirrwarr als Gegenspieler oder aber Dialogpartner entgegengesetzt. Die fließende Kleidung und die Weingläser bilden, bewusst nebeneinandergehängt, miteinander kommunizierende Paare. In beiden Fällen gibt es ein Außerhalb des Sichtbaren, in beiden Fällen steckt das hier Relevante im Abwesendem: Die Gläser sind unterschiedlich gefüllt, es muss also eine Vorgeschichte geben, die hier verschwiegen bleibt. Der Blick schweift dann zu den Wäscheteilen, die wortwörtlich etwas verdecken. Die gezeigten Hüllen haben Stellvertreterfunktion. Sie sind Kommunikatoren für das, was hinter den Oberflächen stecken und stehen könnte. Was einerseits durchaus als moderne Referenz barocker Stillleben zu lesen ist, driftet dann ins Zeitgenössische. Zum einen sind es Titel wie Freak Mensch#9 oder Pride Mensch#11 oder Coffein Junkies, die die Werke mit Assoziationen fernab aller Historizität aufladen. Zum anderen sind es die abgebildeten Gegenstände selbst, die nur und wirklich nur dem 21. Jahrhundert entstammen können: Die Wäsche mutet mit schwarzgelben Smileys, bunten Aufschriften und subtil eingewickelten Farbtönen in Neongelb, Pink und Rot hipp an. Ein anderes Gewusel an Socken in hier augenfälligen Weißtönen lässt dann wiederum an Brands wie Puma oder Nike denken, wiewohl keine Marken genannt werden. Bei genauerer Betrachtung kann man dann sogar rote Herzen ausmachen. Elemente wie der bereits erwähnte Smoothie in Coffein Junkies mit Strohalmen und Trinkbecher, die wir aus Stop-and-Go Cafés kennen, drehen das historische Stillleben in die Gegenwart. Alles ist im Fluss, nichts steht still. Daneben referiert Kunitsyna in einer Werkserie – die Rede ist von den bereits genannten Tuschemalereien von Weingläsern - auf Jarmuschs Filmdrama Only Lovers Left Alive, einen zeitgemäßen Vampirfilm, der die Figur des Blutsaugers in die Gegenwart verfrachtet. Wobei sich dann eine unmittelbare Verbindung zum blutroten Inhalt in den Weingläsern ergibt. Ein Vampirpaar im Film nimmt sich vor, keine Menschen mehr zu beißen und anderwärtig zu ihrem Blut als Grundnahrungsmittel zu kommen. Die Gefäße Kunitsynas verweisen in diesem Kontext auf eine Geschichte zweier Liebender sowie auf eine Beziehung, die Spuren hinterlassen hat. Sie verweben sich assoziativ mit Sequenzen aus dem Film, wobei man nie weiß, ob der blutrote Inhalt nun für die Liebe oder den für Tod steht. Ob es sich bei dem gezeigten Inhalt um Wein, Blut, Genuss, Schmerz, Liebe oder gar Mord handelt, bleibt den Betrachter:innen überlassen.
Von ähnlich existentieller Natur sind Markus Orsini-Rosenbergs Arbeiten: Man nehme die einen ganzen Raum füllenden Waldlandschaften wie Hochwald, Weide am Logar oder Obstbäume am Logar: Tun sich die Bäume, Büsche und Sträucher wie ein Blick aus dem Fenster auf, kann man geradezu in ihrem Farbenrausch versinken. Mehr als einmal ist vom Eintauchen die Rede, wo sich dann wiederum ein direkter Link zum Ausstellungstitel „es fließt“ festmachen lässt. Es ist ein immerwährender Fluss, der sich in seinem Falle auch als eine Metapher für den Prozess des Malens an sich versteht: „Man kann nur einen Pinselstrich nach dem anderen setzen“, so der Künstler, der die von ihm stets neu entdeckte Landschaftsmalerei als meditativen Akt begreift. Orsini-Rosenbergs Werke ergeben sich Strich für Strich, da ist keine Hektik da, was sich auch in seinem Werkfundus niederschlägt. Der Lassnig- und Hollein-Schüler fertigt pro Jahr eine überschaubare Anzahl an Neuproduktionen an, bedingt durch die extreme Langsamkeit seiner Malerei. So kommt es, dass der Großteil seiner Werke aus den letzten zehn Jahren nun in der Galerie3 hängt. Ähnlich besonnen kommt dann das großformatige Werk Wörtherseeufer mit fast schon unnatürlichem, grellen Blaufarbton und nach oben zeigenden Baumreihen in unterschiedlichsten Grün- und Brauntönen daher. Dynamisches Wachstum wechselt sich ab mit einer gewissen, in die Horizontale weisenden Besänftigung. Gegenüber davon haben sich Schneelandschaften eingenistet, die versteckten Farben der Natur wie das Violett des Schnees offenbaren. Das Form und Inhalt einhergehen können, zeigen dann die Öl-Arbeiten auf geformtem Sperrholz, die die unterschiedlichsten Formen annehmen – das reicht vom Tondo mit einer aus dem Bild wachsender Lärche bis hin zur Palette im Zick-Zack-Tannenstyle.
Die Ausstellung schafft es, den Begriff des Fließens um wichtige Parameter zu erweitern. Ausgehend von ins Bild geholte Flüssigkeiten aller Art – befüllte Weingläser, Flüsse, Seen, erstarrte Flüssigkeiten wie Schnee – holt „es fließt“ metaphorisch weit aus: Es geht um das (Ver)Fließen des Lebens, um das Werden und Vergehen, um das aus dem Bild fließen, um ein Versinken im Bild und nicht zuletzt um den fließenden Malprozess, der - im Falle Orsini-Rosenbergs - erst von Strich zu Strich konkrete Form annehmen kann. Farben verfließen, Landschaften gehen ineinander über. Einzelne Wäscheartikel fließen zu einem verknoteten Konvolut zusammen, die Gedanken strömen zu den Elementen, die aus der Leinwand geflossen sind. Für die beiden in Damtschach lebenden und arbeitenden Künstler:innen ist die Ausstellung ein „Heimspiel“. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass Alina Kunitsyna im Jahr 2005 in der Galerie3 auch ihre erste Einzelausstellung abhielt. Nach 18 Jahren schließt sich ein Bogen – war die gebürtige Minsker Künstlerin damals noch völlig unbekannt, ist sie heute in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland sowie unter anderem auch in der Sammlung des österreichischen Belvedere vertreten.
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Florian Gucher ist artmagazine Stipendiat 2023
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11.11 - 23.12.2023
Galerie3
9020 Klagenfurt, Alter Platz 25 / 2.Stk.
Tel: +43 463 592361, Fax: +43 463 592361
Email: galerie@galerie3.com
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