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Poesie trifft Pathos

Wim Wenders porträtiert Anselm Kiefer

„Der größte Mythos ist der Mensch selbst“, sinniert der Meister irgendwann aus dem Off während man ihn durch eine seiner monumentalen Hallen schreitend ins Freie treten sieht. Bei seinem ersten Auftritt im Film ist der Mensch und Meister allerdings weniger Mythos als Maß. Die Kubatur des Raumes, die Dimension der Leinwände, die Größe der gestapelten Boxen, der von der Decke hängenden Zweige. Oder sind es vielleicht doch aufgetürmte, begehbare Pavillons und ausgewachsene Bäume? Da betritt der Protagonist rechts unten das Terrain, winzig im Vergleich zur Umgebung. Doch kennen wir das nicht aus seinen Bildern? Die überdimensionale auf Rollen gelagerte Leinwand, die er vor sich her schiebt, wie ein Sisyphos, der eine Wüste aus Estrich durchqueren will, bekommt einen beherzten Stoß und rollt lagernden Ihresgleichen entgegen, um punktgenau stehen zu bleiben. Der Akteur hingegen, unbeeindruckt von seinem Tun, schwingt sich auf ein Fahrrad und kurvt davon. Zweifelsfrei, dieser Film weiß mit Bildern und Einstellungen zu beeindrucken. Und das in 3D. Es ist dies ein Format, mit dem der Regisseur nach „Pina“ zum zweiten Mal arbeitet.

Zu Beginn von „Anselm“ defiliert die Kamera vorbei an weißen, für die Ewigkeit erstarrten Bräuten, statt deren Köpfen allerlei weise Attribute wie Astrolabium, Bücher und Bauten prangen. Sie sollen für die vergessenen Frauen der Kulturgeschichte stehen, Figuren, die an verschiedenen Orten positioniert, durch den Film geistern. Das begleitende Wispern wird leicht zeitversetzt dupliziert wiedergegeben, sodass man den 3D-Effekt gleichsam auch akustisch erfährt. Dass und warum die zeitlosen weiblichen Geister durch den Film leiten, ist allerdings nicht wirklich nachvollziehbar.

Wer die Geschichte vorantreibt sind Anton Wenders, des Regisseurs Großneffe, und Daniel Kiefer, des Künstlers Sohn, die jeweils als Alter Ego Anselm als Kind und junger Mann darstellen. Was die Geschichte zusätzlich illustriert, sind frühere Beiträge zu Werken und Ausstellungen sowie Interviews mit dem Künstler, die als laufendes Bild im laufenden Bild über einen antiquierten Fernsehschirm eingespielt werden. Jeder Zeit seine Technologie, die es zu thematisieren gilt, auch das eine Spezialität von Wenders, man denke an die verwackelten Videobilder einer Handkamera bei seinen „Aufzeichnungen von Kleidern und Städten“, der Dokumentation zu Yohji Yamamoto.

Was bei der dargebrachten Opulenz der Bilder eines Lebens und deren Produktion etwas verloren geht sind die kleinen Brüche, mit denen der Künstler bisweilen zur Seite tritt, und das allzu Große sowie sich selbst mittendrin heiter reflektiert. Was zu derlei Künstlerlegenden freilich dazugehört sind Lehrerlegenden, bei Kiefer ist es Joseph Beuys. Die Leinwände eingerollt, montiert auf dem Dach eines orangen VW-Käfers macht sich der Eleve durch die Winterlandschaft auf nach Düsseldorf zum deutschesten aller deutschen Künstler. Dass der Wagen ein aktuelles Karlsruher Kennzeichen trägt, kann man womöglich als verstecktes Aperçu zum Ort seiner Ausbildung bei Peter Dreher und Horst Antes an der Karlsruher Kunstakademie verstehen.

Wim Wenders, der immer malen wollte und Filmemacher geworden ist, hat nun eine Dokumentation gedreht über Anselm Kiefer, den Maler, der immer Filme machen wollte. Seit Jahren, Jahrzehnten bereits, genau genommen seit 1991, gab es Überlegungen zu dieser Dokumentation. Ein Regisseur mit einer ausgeprägt poetischen Handschrift über einen Künstler mit ausgeprägten Geschichtsbewusstsein, dessen Pathos sich vielfach im Monumentalen ausbreitet, beide gleichen Alters. Ob das funktioniert?

Um es kurz zu machen, in weiten Strecken durchaus. Auch funktionieren die Überlagerungen von Dokumentation und Fiktion, von gefilmten und gefundenen (historischem Nachkriegs-)Material von unglaublicher Prägnanz. Und dann bleibt da noch die Frage, was Wenders dazu treibt, Kiefer als Seiltänzer mit einer vertrockneten Sonnenblume die Balance haltend über den urbanen Abgrund zu schicken. Und vor allen Dingen: Was treibt Kiefer dazu, dies auch auszuführen?

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Anselm - Das Rauschen der Zeit
OT: Anselm
Wim Wenders | DE 2023 | 93 min
Mit: Anselm Kiefer, Daniel Kiefer, Anton Wenders
Regie: Wim Wenders, Produktion: Karsten Brünig, Kamera: Franz Lustig, Musik: Leonard Küßner, Kostüm: Heike Fademrecht, Schnitt: Maxine Goedicke
DE 2023, 93 min., Farbe
Kinostart: 27.10.2023

Mehr Texte von Daniela Gregori

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