Werbung
,

Brief aus Krakau

Jeder Topf findet seinen Deckel, sagt ein Sprichwort. Aber die Kunstszene oder anders die „Krakauer Artworld“ hat den solchen, die lokalen Limits überschreitenden Deckel bis dato formal nicht gefunden. Spätestens seit der Pandemie, aber eigentlich noch etwas früher, als die über 70jährige Direktorin des Museums für Gegenwartskunst in Krakow, kurz Mocak genannt, die Leitung des international anerkannten Bunkier Sztuki, quasi als Erweiterung der Museumsaktivitäten noch zusätzlich übernahm, hat sich die Stimmung und Akzeptanz der neuen paternalistischen Entscheidungen der kulturellen Obrigkeit der Stadt in der Kunstszene nachdrücklich verändert. Schließlich wurden alle Kurator:innen gekündigt und auch die erfolgreiche Bunkier-Direktorin Magdalena Ziółkowska wurde im Zuge einer „Kontrolle umfassenden Finanzmanagements“ in die Resignation getrieben. Nach der wirkungslosen Protestwelle gegenüber der neuen Direktion des Bunkier Sztuki, haben die jüngeren Künstler*innen und Kurator*innen endgültig erkannt, dass man sich, ohne pardon, selbst „von Unten“ noch effizienter wie bisher in Kollektiven organisieren muss, um die eigenen Kunstprogramme und Agenden aufzubauen und sie nach außen selbst zu vertreten. Unabhängig von lokalen Kunstinstitutionen, in denen sich die junge Generation, wie auch bereits etablierte Künstler:innen weder in den Ausstellungsformaten noch in Diskursen oder Themen wiederfinden können. Retrospektiven wie die noch 2010 stattfindende „That´s How it is“ von Marcin Maciejowski im National Museum, oder später die multimediale Show mit Katarzyna Kozyra würden heute unter der Leitung des der national eingefärbten Kunst stark verpflichteten Kunsthistorikers und Autors Andrzej Szczerski, nicht einmal als Ausnahmefall möglich sein – wie er einmal selbst im Katalog zur Ausstellung „Artists from Krakow: The Generation 1980-1990“(2015) im Mocak, über Maciejowskis Solopräsentation im Krakauer Museum einsichtig bemerkte. Die oben erwähnte Gruppenshow „Artists from Krakow“ bestand zu 80 Prozent aus der Flachware Malerei.

Malerei - diese tot gesagte Kunstgattung ist nach wie vor in der Stadt führend und findet seit Jahren internationale Anerkennung. So ging auch der Strabag Art Award an die Krakauer Maler Tomek Baran und Grzegorz Siembida. Karolina Jabłońska und Tomasz Kręcicki, beide Absolventen der Krakauer Kunstakademie, wurden vor kurzem in das Programm der global agierenden Galerie Esther Schipper aufgenommen. In Krakau malt man also sehr gerne, vielseitig, kosmopolitisch gewandt und ebenso Queer kuschelig seltsam und diese Tendenz scheint kein Ende zu nehmen. Erprobungen, die Grenze der klassischen Leinwand experimentell hinter sich zu lassen, zeigt gerade beeindruckend der Maler Bogumił Książek mit seinen originellen Großformaten aus bemaltem Satin und geformten Holzbrettern. Um den Effekt des Fluges und Fliegens zu erreichen, konstruiert er manchmal seine Bilder verdoppelt, in einer Reminiszenz an den Mythos des Ikarus und inspiriert von polnischen Volksmärchen über Flüge und Maschinenkonstruktionen, die einen in den Himmel bringen bzw. einem helfen, an die Spitze zu gelangen. Seine träumerisch-phantasmagorischen Konstrukte aus natürlichen und künstlichen Materialien bilden daher eine gute Metapher für die Stimmung von Euphorie und Erlösung – Platon würde behaupten der Befreiung Seele von den Wünschen des Körpers und anderen weniger angenehmen Angelegenheiten – die in Krakau derzeit überwiegt. Es geht aber nicht nur um aktuelle Malerei. Neuerdings macht ihr die Fotografie Konkurrenz: In Krakau ist vor kurzem ein neues Museum für Fotografie, MuFo, quasi aus dem Boden geschossen. Das revitalisierte Gebäude mit seiner beeindruckenden gläsernen Eintrittshalle á la mini Tate Modern, stellt sich als Hauptaufgabe neben dem klassischen Sammeln und Bewahren, „die Funktion der Fotografie als Medium der Kunst neu zu bewerten“. Beginnend mit den 1970er Jahren widmet sich die neue Institution unter dem Leiter und hartnäckigen Initiator Marek Swica den konkreten, akuten Themen unserer Zeit wie u. a. den Veränderungen in der Auffassung von künstlerischer Identität, von kollektivem Gedächtnis und Ethos, Geschichte und auch dem Feminismus, also den Diskursen und Schwerpunkten, die im Programm des MOCAK kaum systematisch verankert sind bzw. methodisch problematisiert und aktualisiert werden. Gleichzeitig achtet man darauf, die Sammlung um die Arbeiten von Künstlerinnen unterschiedlicher Generationen möglichst rasch zu vervollständigen. Es gibt auch regelmäßig Workshops zu Themen wie antikoloniale Fotografie oder Erscheinungen des Rassismus usw., besetzt mit bekannten Künstlerpersönlichkeiten aus der Welt der Fotografie.    

Aber zurück zu der neuen Krakauer Kunstszene: Zwischen ihrer Macht und Machtlosigkeit liegt ein fein nuancierter Zwischenbereich der eigenen Ohnmacht: Weil es andere Städte gibt, die das Verlangen nach Selbstbestimmung und Selbstoptimierung besser, schneller und effizienter vorantreiben - Musterbeispiel ist hier Warschau - möchte man in Kraków ebenfalls einerseits selbstermächtigende Lebens- und Geschäftsformen praktizieren, andererseits aber den Ausnahmenzustand der Bohemien-Subjektivität und Selbstinszenierung nicht ganz aus den Augen verlieren und die alten Gepflogenheiten weiter eigensinnig mit allen dazu gehörigem Leiden, etlichen Schwächen und beglückenden Fehlern künstlerisch zu pflegen. Das heißt den herrschenden Diskursen in Kunstfeldern nur bedingt und oft rückwärtsgewandt zu folgen, um anders empfinden oder erfahren zu können. Nennt Warschau ihr prestigeträchtiges, mit der internationalen Kunstszene kompatibles Kunstevent Warsaw Gallery Weekend, sind Krakauer:innen darauf stolz, die bereits seit 2012 Cracow Art Week namens Krakers im Mai auszutragen – eines von vielen Festivals, die in der Stadt des Wawel-Drachens jedes Jahr stattfinden. Krakers spielt sich in Galerien, zahlreichen Artist-Run-Spaces und Ateliers sowie in den vielen ungewöhnlichen öffentlichen Räumen der Stadt ab und meint das Gegenteil von Kommerz. Darauf wird Wert gelegt und die Stadt unterstützt das Festival konsequent. Es ist ein pfiffiges und ausgefallenes Kunstfest, das die Warschauer Galerist:innen gerne besuchen, um „etwas Neues“ für sich zu entdecken und gleich mitzunehmen. Darüber hinaus wurde im Dezember 2022 noch eine neue Veranstaltung in Krakau erdacht: im traditionsreichen und eleganten Hotel Garni am Kazimierz im Jüdischen Viertel, das seine Räume der Kunstszene zur Verfügung stellte, wurde drei Tage lang das Krakowski Spleen abgehalten. Das Ereignis kann man als einen vorweihnachtlichen Kunstgenuss bezeichnen, choreographiert durch Maria Ciborowska von der Galerie UFO mit den Künstler:innen der Galerie, eingeladenen Kurator:innen und weiteren Künstler:innen, die zum Ausstatten der Zimmer des Hotels mit Kunst zusätzlich eingeladen wurden. Der gesellschaftliche, mediale und kommerzielle Erfolg dieses Events brachte Ciborowska und ihren Galerie Partner Dominik Kopera auf die Idee, 2023 endlich eine Kunstmesse in Krakau zu starten, auch um die einzeln in der Stadt agierenden Galerien und immer mehr an Bedeutung gewinnenden, agil arbeitenden Krakauer Künstlerkollektive und diverse Arist-Run-Spaces zu konsolidieren und alle gemeinsam als heimische Kunstszene der Öffentlichkeit vorzuführen. Die erste Art Fair Cracow dauerte drei Tage im Hotel Garni mit Preview am 07.07 und zeigte ein Programm von sechs Kollektiven/Project-Spaces und Galerien: Jak Zapomnieć, Galeria Olympia, Ufo Art Gallery, Szaber Gallery, Widna und Art Agenda Nova. Es wurde kein Unterschied zwischen kommerziellen Galerien und Non-Profits gemacht. Einiges ist verkauft worden, einiges nur besichtigt. Einige Akteure der neuen Krakauer Kunstszene wie die bemerkenswerte Fundation und Gallery Piana, die aktuell zwei Orte in der Stadt betreut, hat an dem Event nicht teilgenommen, was sich bald jedoch ändern kann.  Auffallend gut war das Begleitprogramm der Art Fair Cracow organisiert, an dem sich zusätzlich alle wichtige Kunstinstitutionen der Stadt beteiligten: aus diesem Grund zeigte man einige sehenswerte Gruppenausstellungen zu brennenden Themen (Klimawandel, Menschen, Spiritualität) zusammengestellt von den neuen (aus Kraków) und alten (aus Warschau) stammenden Kurator:innen (die Shows zeigten leider immer nur ausschließlich polnische Künstler:innen), wie die in der Galerie der Akademie der Schönen Künste veranstaltete Ausstellung Ludzie (Menschen) von Stach Szablowski, die danach fragte, was in der Ära des Anthropozän und an Schnittstellen in die verschiedenen Zukunftsoptionen es eigentlich noch bedeutet, ein „Mensch“ zu sein. Weiters waren z.B. die Ausstellung von Kamil Kuitkowski And Listen to the Wind Blow in der Shefter Gallery oder Styki (Berührungen) mit Kinga Burek und Katarzyna Jarząb in der neuen Fundation Krakowska 34 zu sehen. In der wie eine Gedenkstätte wirkenden Galerie Starmach hatte man die Gelegenheit, nach 20 Jahren wieder eine Einzelausstellung von Mirosław Bałka in Krakau zu sehen: Wie immer zum Holocaust Thema und wie immer neu in Bezug auf den Ort (Kraków) und den spezifischen Galerieraum (ehemaliges Haus des Gebets) kontextualisiert und konzeptualisiert und wie immer mit einem Katalogtext von Anda Rottenberg, und mit neuen Schrift-Neonarbeiten des Künstlers in der signifikanten Farbe Gelb, sehr hoch an den Galeriewänden und unerreichbar wie in der unendlichen Weite des mysteriösen Weltraums platziert. Also ein immer wieder sehenswerter, ortsspezifischer Klassiker.  Am Tag der Art Fair Cracow-Preview wurde auch die große, von Maria Ciborowska und anderen Kurator:innen konzipierte Begleitausstellung zur Kunstmesse mit dem Titel „Unknown“ eröffnet, die von der Malerei im Großformat und einer von der Decke hängenden skulpturalen Textil-Arbeit von Marta Niedbał bestimmt wurde. Die Ausstellung zeigte einen Querschnitt der aktuellen Kunst-Produktion in Krakau, darunter die neuesten Bilder des diesjährigen Strabag-Anerkennungspreisträgers Grzegorz Siembida, die neue zweiteilige imposante Komposition des oben erwähnten Bogumił Książek, ein neues Hochformat von Tomek Baran und Querformat von Kinga Nowak und zudem post-Internet Skulpturen von Agnieszka Szostek, die unlängst wieder mit dem Künstler Michael Biber aus Berlin nach Krakau gezogen ist. Und es sind nicht die einzigen international agierenden Künstler*innen, die wieder im Krakau leben und arbeiten. Man entschied sich in der Galerie Podbrzezie an der Pädagogischen Akademie (gleich gegenüber dem Hotel Garni) mehrheitlich Großformate zu präsentieren - fast wie die raumgreifenden Werke auf der Unlimited der Art Basel. Die nächste Cracow Art Fair wird gerade geplant und soll um einiges grösser, besser und schöner werden.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: