Werbung
,

Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Anita Berber in Wien 1922: Laster! Oh Sehnsucht des Bürgers!

Was ihren Part im Fotostudio anbelangt, war die eben einmal 21-jährige Anita Berber nachgerade ein alter Hase, als sie November 1920 erstmals das Wiener Atelier d'Ora frequentierte. In Berlin war die schauspielende und tanzende Bühnenelevin bereits in allen namhaften Fotostudios vor der Kamera gestanden. Nicht weiter ungewöhnlich, neben Porträtpostkarten von Bühnengrößen (und solchen, die es werden wollten) war das Ablichten Schauspielerinnen, Tänzerinnen und anderer weiblicher Prominenz in den neuesten Kreationen der Modeateliers für Zeitschriften & Gazetten eine ertragreiche Einnahmequelle der Fotostudios und trugen zur Popularität der Abgelichteten bei.

Anita Berber, war zu Dreharbeiten des Historienfilms „Der Graf von Cagliostro“ nach Wien gekommen, entsprechend entstanden hier Rollenporträts zu diesem und einem weiteren Film. Nachgerade madonnenhaft wirkt die Berber mit ihrem Kopftuch, in ihrem dunklem, schlichtem Kleid, deren Silhouette sich vor dem hellen Hintergrund klar abzeichnet. Der Ausdruck der Dargestellten allerdings ist mehr selbstbewusst als verklärt. Die Aufnahmen dürften nicht zur Bewerbung des Films Verwendung gefunden zu haben, doch entsprachen sie wohl den Vorstellungen der Dargestellten, denn man setzte die Zusammenarbeit die nächsten beiden Jahre fort. Hierbei entstanden unter anderen nicht weniger als Ikonen der Fotografie des Expressionismus. Das Wiener Photoinstitut Bonartes hat sich nun in einer Ausstellung Anita Berbers Verbindung mit Wien angenommen, wie sich zeigt, ein nicht unwichtiger Aspekt im künstlerischen Leben der Berliner Tänzerin.

Die von Magdalena Vucović kuratierte Ausstellung veranschaulicht neben teilweise erstmals gezeigten Fotografien des Atelier d'Ora, wie Berber und ihr Bühnenpartner Sebastian Droste neben dem Tanz auch Fotografie, Lyrik und Film als Ausdrucksmöglichkeit nutzten. Ihre Themen waren (Homo-)Sexualität, Drogenkonsum, Wahnsinn und Suizid, all das nahezu unbekleidet. Allzu gerne skandalisierten die Wiener Medien die Auftritte, „Nackttänzerin“ wird zum stehenden Begriff, gegen den Berber sich Zeit ihres kurzen Lebens verwehrte. Wien hatte seinen Skandal. Im Wiener Gloriette-Verlag erschien 1923 die Publikation „Tänze des Lasters, des Grauens und der Extase“ mit Lyrik von Droste, einem Essay von Leopold Rochowanski und 15 Fototafeln aus dem Atelier d'Ora. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Duo Berber / Droste im Studio Posen aus dem Tanz vollführte, vielmehr dürfte man die mitunter dramatischen Inszenierungen gleichsam als Essenz der Inhalte verstanden haben. Der Ausschnitt eines begleitenden Tanzfilmes und die tagesaktuellen Presseberichte über den Skandal runden die Präsentation ab. Dass der eigentliche Wiener Skandal weniger einem Mangel an Moral geschuldet war, als nicht eingehaltener vertraglicher Vereinbarungen, war als Thema peripher. Wien hatte inmitten der Wirtschaftskrise eine Ablenkung durch ein pikantes Gesprächsthema oder wie es Rochowanski so schön formuliert „Laster! Oh Sehnsucht des Bürgers!“ Dass im Zuge der Fotosession Arthur Benda, Assistent und späterer Teilhaber des Studios wohl auch Aktfotos aufgenommen hat wurde erst viel später, nach dem Tod von Berber 1928 publik, manche davon sind erst im Zuge der Recherche für die Ausstellung zutage getreten. Auch die begleitende Publikation liefert interessante neue Erkenntnisse über die Darstellerin auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen, deren spektakulär bis dekadente Auftritte, soweit dies rekonstruierbar ist, gegenwärtig hoch aktuell wären.

Das gerne für das Berlin der 1920er Jahre bemühte Bild des Tanzes auf dem Vulkan wird wohl von niemanden besser personifiziert als von Anita Berber, die 29-jährig an den Folgen ihres ausschweifenden Lebens und einer Tuberkuloseerkrankung starb.

--
Publikation:
Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Anita Berber in Wien 1922
Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich (Band 22)
Magdalena Vukovic (Hg.)
mit Beiträgen von Ralf Georg Czapla, Agnes Kern, Matthias Marschik und Magdalena Vuković
Salzburg: fotohof edition, 2023
Sofcover, 168 Seiten, 87 Abbildungen
€ 18

Mehr Texte von Daniela Gregori

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Anita Berber in Wien 1922
25.08.2023 - 12.01.2024

Photoinstitut Bonartes
1010 Wien, Seilerstätte 22
Tel: +43 1 2360293
Email: info@bonartes.org
http://www.bonartes.org/
Öffnungszeiten: Gegen Voranmeldung


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: