Andrea Winklbauer,
Bitte mehr!
Österreichs Filmszene durfte lachen: in Mara Mattuschkas Diagonale-Trailer "Die Antwort" und in der Realität. Denn die von den Filmschaffenden ohne Unterstützung des Bundes auf die Beine gestellte "originale" Diagonale war erfolgreich. Und für nächstes Jahr ist die Unterstützung für das von der Branche ohne politische Kompromisse selbst bestimmte Festival bereits zugesagt.
Im Gegensatz zur letzten Diagonale, auf der die Kategorien Dokumentar-, Kurz- und Experimentalfilm stark besetzt waren, lässt sich in diesem Jahr ein stärkeres Gewicht des Spielfilms verzeichnen. Für angemessenen Glamour sorgten die Regie-Stars Barbara Albert, Michael Haneke und Ulrich Seidl mit neuen Filmen, die in den österreichischen Kinos aber schon vor längerem angelaufen sind, was auch für das elegische River-Movie "Donau, Duna, Dunaj, Dunav, Dunarea" von Goran Rebic und den wie Fruchteis mit Schokoguss zart schmelzenden Jugendfilm "Twinni" von Ulrike Schweiger galt.
Neu dagegen waren die Spielfilme "Hurensohn" von Michael Sturminger, "Nacktschnecken" von Michael Glawogger und "Gori vatra - Feuer" von Pjer Zalica, alle drei auf ihre Weise sehr beeindruckend. "Hurensohn" überzeugte als psychologisch exaktes und gut gespieltes Mutter-Sohn-Drama im Rotlichtmilieu. Die Komödie "Nacktschnecken" hob mit einer Geschichte über eine Gruppe junger Versager, die sich mittels Dreh eines Studentenpornos aus ihren verschiedenen Miseren befreien wollen und scheitern, das Genre der Sex-Klamotte auf ein neues Niveau. "Gori vatra - Feuer" erzählt von den tragikomischen Anstrengungen der Bewohner einer bosnischen Kleinstadt, die kleinkriminellen und noch immer rassistischen Nachkriegszustände zu verschleiern, um sich für den Besuch des amerikanischen Präsidenten, von dem sie große Investitionen erhoffen, zu qualifizieren.
Einer der schönsten Dokumentarfilme war "Carpatia" von Andrzej Klamt und Ulrich Rydzewski, eine Reise auf dem osteuropäischen Gebirgszug über mehrere Grenzen hinweg zu Menschen, die so völlig anders leben und denken, als der großstädtische Mitteleuropäer das kennt. In den Süden führte dagegen "Il mare e la torta" von Edgar Honetschläger. Die freche Siziliendeutung ist ein wenig verwirrend, aber originell. Die angebliche Doku "SAMMLER - Saliera II" von Ronald Kodritsch ist dagegen eine überspitzte Satire auf einen bestimmten Typ des reichen Kunstbeflissenen Wiener Provenienz. Treffender sind bestimmte lokaltypische Verhältnisse einfach nicht auf den Punkt zu bringen.
Der spektakulärste und innovativste Beitrag zum österreichischen Experimentalfilm kam von Virgil Widrich. Sein "Fast Film" ist eine bereits international ausgezeichnete und viel gerühmte Reise durch die Kinogeschichte mit Ausschnitten aus berühmten Filmszenen, die auf einen dahin rasenden Origami-Zug getrickst sind und dort auf originellste Art miteinander kommunizieren. Spannende neue Arbeiten waren auch von Thomas Draschan ("Encounter in Space") und Siegfried A. Fruhauf ("Structural Filmwaste. Dissolution 1" und "Structural Filmwaste. Dissolution 2") zu sehen.
In den Kurzfilmen junger Regisseure zeichnet sich eine Wende zum Dramatischen, ja manchmal sogar zum für den österreichischen Film ganz untypisch Emotionalen ab. Tobias Dörr (geb. 1977) hat in "Was ich noch sagen wollte" seiner Tante, der Klosterschwester Wulfilde, ein filmisch gut gemachtes und berührendes Porträt gewidmet. Im Kurzspielfilm "Wegen Daniel" von Michael Ramsauer (geb. 1974) entsteht ein starker Moment, wenn der Zuschauer versteht, dass der junge Mann der Mutter eines Unfallopfers zu beichten versucht, dass er schuld am Tod ihres Sohnes ist. "Von bis" von Peter Jaitz (geb. 1977) handelt von den Erinnerungen eines Sterbenden, die in generationenübergreifenden Rückblenden zu Erinnerungen von anderen Sterbenden führen. Entfernt taucht im Zuschauer die Erinnerung an Terrence Malicks "Der schmale Grat" auf - nicht die schlechteste Referenz für ein Frühwerk. Vom Tod handelt auch "Felix Ende" von Thomas Schwendemann (geb. 1977). Robert Stadlober spielt darin einen vom Tod besessenen Sanitäter, der sich in ein komatöses Mädchen verliebt. Die Schönheit des Hauptdarstellers macht die nur wenig irdische Existenz dieses gutartigen "Todesengels" glaubhaft. Sein Ende ist vorhersehbar. Der Stummfilm "Theremintone" von Ingo Webr (geb. 1978) dagegen erfreut durch die Ironie, mit der diese historische Erzählweise wiederbelebt wurde.
Den besten Coup hat Karl Brettschneider (geb. 1980) gelandet. "Grauzone" entfaltet auf nur 19 Minuten eine Größe, die man von guten amerikanischen Produktionen kennt. Georg Friedrich spielt darin einen Autofahrer, der mit seinem spastisch-gelähmten Bruder auf einsamer Landstraße zufällig am Schauplatz eines Unfalls vorbeikommt. Wie sich der ungeschickte Fahrer und die nachträglich angerückten Polizisten in eine immer auswegloserer Situation bringen, ist toll inszeniert, gespielt und gefilmt. Davon möchte man gerne mehr sehen.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer