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Alfredo Barsuglia - Wohnkultur: Kathedrale der Verschwendung

Auf der um vier Stufen erhöhten Ebene thront eine Struktur mit einem kleinen Turm. Das Gebäude strahlt etwas Erhabenes aus, obwohl es kaum mehr als ein Bretterverschlag ist. Die Apsis der als Ausstellungsraum genutzten Dominikanerkirche Krems, dort wo sich einst der Altar befand, bildet die Bühne für diese Hütte, wie man sie aus den Armenvierteln kennt, die sich an den Rändern großer Städte rund um den Globus entwickelt haben. Globaler Süden! Kolonialismuskritik! Etablierte Begriffe des Kunstkanons weckt die Installation von Alfredo Barsuglia auf den ersten Blick. Da wurde eine Tür, noch mit Türschnalle, als Wandelement verbaut, Bretter in unterschiedlichen Längen und Farben, dort eine zur Wand umfunktionierte Heurigenbank an der die ausklappbaren Beine noch dran sind. Farbige Glühbirnen an der Oberkante verleihen dem Konstrukt eine zusätzliche Aura, die auf die Atmosphäre des ehemaligen Sakralraums referenziert.

„Wohnkultur“ betitelt Barsuglia seine Ausstellung und führt uns damit noch ein wenig auf den Pfad der gewohnten, bereits angesprochenen Lesart und verlagert das Thema damit angenehm in ferne Länder. Pflichtschuldigst keimt Betroffenheit über das Schicksal der dort Lebenden auf, mit gleicher Distanz betrachtet wie vom heimischen Sofa vor den Abendnachrichten im Fernsehen. Doch die Entstehungsgeschichte des Bauwerks rückt die Problematik näher an uns heran, denn die verwendeten Materialien stammen aus dem Holz-Sperrmüll, der an einem Tag im Wirtschaftshof der Stadt Krems zum Recycling abgegeben wurde.

Schön eigentlich, was man so alles bauen kann aus dem, was Bürger:innen ordnungsgemäß der weiteren Verwertung zuführen. Sogar ein paar Möbel konnte sich Barsuglia sichern. Sie verbreiten gemeinsam mit einigen Lampen eine fast behagliche Stimmung im Inneren. Die Geräuschkulisse ausgemusterter Elektrogeräte bringen einen gewissen Thrill in die Inszenierung, das Radio schaltet sich ab und zu ein, ein Staubsauger simuliert häusliche Betriebsamkeit. Man könnte durchaus stolz sein auf die hohe Recyclingrate der Kremser:innen.

Erst im Untertitel zur Ausstellung eröffnet Alfredo Barsuglia den Diskurs über die Dringlichkeit seines Anliegens: „Wohnen in einer Wegwerfgesellschaft: als Recycling noch ein Modewort war.“ Denn der Staubsauger bläst uns den Gegenwind der Ressourcenknappheit ins Gesicht, die Warnlampe lieg unübersehbar auf dem Tisch und in den Schubladen lauert eine ungewisse Zukunft. Die Arbeit macht deutlich dass, wenn wir in diesem Tempo weiter konsumieren und die Produktion neuer Güter in einer auf dauerndes Wachstum angelegten Wirtschaft immer weiter steigern, uns auch eine höhere Recyclingrate nicht vor dem endgültigen Kollaps retten wird. So war es nur folgerichtig, dass Barsuglia Toxic Temple die im Rahmen des Donaufestivals in Krems weilten zur gemeinsamen Abschlusskundgebung am Ende ihrer Prozession in die Dominikanerkirche lud. Die Performance-Truppe rund um Anna Lerchbaumer und Kilian Jörg hatte zuvor im Forum Frohner in ihrem Gottesdienst dem Abfall gehuldigt und eine ordentliche Menge davon in die Dominikanerkirche mitgebracht. (--> das artmagazine Dokumentationsvideo gibt es hier) Mittlerweile ist Alfredo Barsuglias Baracke wieder alleine im Kirchenschiff und wird am Ende der Ausstellung zerlegt und wieder zum Kremser Wirtschaftshof zurückgebracht, wo es die Wege alles Verwerteten gehen wird.

Während der 43-tägigen Ausstellungsdauer wurde  dort demnach Material für mindestens 43 weitere kleine „ Müll-Kathedralen“ bzw. Denkmäler der Verschwendung von den Kremser:innen angehäuft/entsorgt. Je nachdem welcher Lesart man sich anschließt: Jener der Beruhigung des eigenen Gewissens, oder jener des notwendigen radikalen Umdenkens. Bis 4 Juni ist noch Zeit, den eigenen Standpunkt in der Ausstellung zu finden.

Mehr Texte von Werner Remm

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Alfredo Barsuglia - Wohnkultur
23.04 - 04.06.2023

Dominikanerkirche Krems
3500 Krems, Körnermarkt 14
Tel: +43 2732 908010
Email: office@kunsthalle.at
https://www.kunsthalle.at


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