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Stepping Out! Female Identities in Chinese Contemporary Art: Höchste Zeit

Wer auf Cui Xiuwens Lady´s Room trifft, einer knapp mehr als sechs-minütigen Videoarbeit, muss den gewohnten Blick abstreifen. Zu sehen sind Frauen in einer öffentlichen Toilette eines Pekinger Nachtklubs, wie sie sich frischmachen. Im Hintergrund läuft gedämpfte Musik. Songs wie Britney Spears Baby one more time ertönen, die changierend zwischen Privatem und Öffentlichem auf die Situation der Protagonistinnen als Callgirls zurückreflektieren, in dem Sinne, dass sie in einem kommunistischen, patriarchal geprägten Einheitsstaat verhaftet sind. Ihre Ausgelassenheit divergiert mit dem engen Korsett des Systems unter Maos Erben, läuft dem gesellschaftlichen Idealbild konträr. Sie greifen sich in die Taille, rücken ihren BH zurecht, ziehen sich um und pflegen intime Gespräche. Sie führen banale, für westliche Beobachter:innen unbedenkliche Handlungen aus. Und doch wirken die Frauen ertappt, wie bei etwas Verbotenem, weil diese Alltagsrituale hier als Ordnungsverstöße politisch werden. Die Atmosphäre hinterlässt ihre Spuren, das schummrige Licht und ihr lediglich im Spiegel wiedergegebenes Erscheinungsbild verstärken den Effekt: Ohnehin ist der Ort des Geschehens einer, der ambivalent bleibt, weil er höchst intim sein kann, zeitgleich zum Austausch – unbespitzelt im stillen Kämmerchen – einlädt, hier aber gefilmt wird und damit als Video eines stillen Aufbegehrens plötzlich in der Öffentlichkeit zirkuliert. Dieses Paradoxon überträgt Xiuwen auf die politisch-gesellschaftliche Lage des Landes. Sie lässt kollektives Verständnis auf Individualität sowie das Bild der tugendhaften, zurückhaltenden Frau auf innere Revolution und weibliche Selbstermächtigung prallen.

Bereits am Beispiel von Lady´s Room wird ersichtlich, dass Betrachter:innen hier mit der westlichen Perspektive nicht weit kommen. Auch widerstreben die Werke thematisch wie formal der männlich dominierten chinesischen Gegenwartskunst, so wie sie in den offenen Mündern eines Fang Lijun oder Geng Jianyi bedient wird. Die Frauen sind aber auch keine Feministinnen per se, sie streben als Künstlerinnen nach Anerkennung. Steckt rebellische Kraft in den einzelnen Positionen, müssen zunächst die Verhältnisse geklärt werden, auf denen die Arbeiten fußen. Nehmen wir die Nacktheit als Beispiel: So wie sie in der Kunst des Westens geradezu zelebriert wird, gilt sie in China generell und auch heute noch als eine von der Zensur bekämpfte Grenzüberschreitung. Freilich zielen Beispiele westlicher Gegenwartskunst wie Cindy Shermans Entschleierungen einer prothesenhaften Künstlichkeit nackter Oberkörper als Zerschlagung normativer Rollen auf Empörung ab und doch ist die Intensität, die in „STEPPING OUT!“ gezeigt wird, eine andere. Verglichen mit VALIE EXPORT oder Sherman sind es auf den ersten Blick harmlosere Darstellungen. Vor dem Hintergrund der politischen Bedingungen Festlandchinas wirken sie aber plötzlich provokanter. Bemerkenswert ist dann doch, wie sie sowohl dialogisch als auch oppositionell auf westliche Pendants der Kunsthistorie verweisen. Die Rede ist von der auf Duchamps Schlüsselwerk referierenden Videoarbeit Fountain Cao Yus, die als weiblicher Gegenpart die Brücke zu Bruce Naumans Self portrait of a fountain schlägt und ästhetisch ansehnlich eine Darstellung des liegenden Oberkörpers der Künstlerin ins Zentrum hievt, wie sie ihre Muttermilch aus den Brüsten in die Luft spritzen lässt. Oder aber Fan Xis Fotoserie Upfront, einer Inszenierung lesbischer Frauen, die uns in Lebensgröße auf Augenhöhe begegnen. Das von Fan formulierte Ziel des formal an Sanders Menschen des 20 Jahrhunderts anknüpfenden, noch unabgeschlossenen Werkzyklus Upfront ist es, fünfzig solcher Frauen zu porträtieren. Aus beiden Positionen spricht Utopie und Realität gleichermaßen: Trägt die springbrunnenähnliche Inszenierung dadurch etwas Widerspenstiges in sich, dass sie die Diskrepanz weiblicher Stärke mit der Flut männlicher Pornofantasie verknüpft, kennzeichnet sich Upfront durch die Erschwernis einer unmöglich erscheinenden, doch angestrebten Abgeschlossenheit in einem Land, wo Homosexualität und öffentliche Unbekleidetheit als dekadente Lebensstile verunglimpft werden.

So die Entblößung des Körpers ein sich durch die Ausstellung hindurchziehendes Thema ist, wird es oft mit persönlichen Narrativen aufgeladen, um dann den Schwenk zum kollektiven Aufbegehren zu suchen. Das Netz spannt sich von auf der Wand hängenden, schwarz eingefärbten Vulven Liu Xis bis hin zu Luo Yangs festgehaltenen, in China unkonventionellen Lebensentwürfen mit friedlichen, durch in den Körpern ausgedrückten Normenverstößen. In diesem Kontext liegt es auch auf der Hand, He Chengyaos Werkserie Testimony zu erwähnen. Die Fotos zeigen die Künstlerin, wie sie sich stellvertretend für ihre unverheiratet schwanger gewordene, deshalb sozial geächtete Mutter barbusig als Gefesselte in Absperrbändern porträtiert und trotz gestischem Gewaltakt unfähig bleibt, sich von Gesellschaft und Staat auferlegten Fesseln zu lösen. Auch Tong Wenmin nützt ihren eigenen Körper, um Grenzerfahrungen kenntlich zu machen. Ähnlich, doch noch radikaler geht Chen Zhe vor, wenn sie ihre Selbstverwundungen in Szene setzt. Betrachter:innen werden gewahr wie Blut aus ihren Adern herausspritzt oder ein Wassertropfen über eine unmittelbar auf der Brustwarze sitzende Brandwunde gleitet. Wobei sich dann durch den formalen Gegenpart, die ästhetisch gekonnte Komposition, ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube breit macht.

Schöpfen viele der gezeigten Künstlerinnen aus persönlichen Geschichten, sind andere eindeutiger als gesellschaftspolitische angelegt: Yu Hong schlägt die Brücke, wählt sie doch das Mittel der unmittelbaren Verschränkung vom Privaten und Politischen, indem sie realistisch gemalte Porträts ihrer Selbst mit Medienfotos verschränkt. Geradezu unbescholten, doch nicht minder subversiv, kommt Cao Feis Videoinstallation Whose Utopia daher: Bezugnehmend auf Identitätserlangung und Rollenspiel porträtiert die Künstlerin Fabriksarbeiter:innen in den kargen Hallen, lässt sie in Fantasierollen schlüpfen. Angesichts der weißen, kunstvoll gestalteten Kleider und ihrer gestisch ausschweifenden Tänze wirkt das Aufbegehren umso stärker, zumal der kalte Beton und die monotone Anordnung der immer wiederkehrenden, sich aller Individualität entziehenden Industrieregale und Pakete den Kontrast anhebt. Fluchtort kann bei Caos aber auch die Populärkultur sein, sowie sie jugendliche Cosplayer:innen in COSplayers in die Rolle ihrer Manga-Helden schlüpfen lässt und ihnen nicht nur eine fiktive Identität verleiht, sondern spüren lässt, wie es sich überhaupt anfühlt, eine zu haben. Wenn Bu Hua schließlich ein Mädchen in Jungpionierinnen-Uniform mit einer Steinschleuder auf Kampfjets schießt, nackte Frauen von phallischen Vögeln in Käfige sperren lässt, treibt sie auf die Spitze, wie Utopie und Realität auseinanderklaffen. Die verzweifelnden Akte bleiben einzige Möglichkeit, an der Stärke des kolossalen Systems zu rütteln– der Vergleich zwischen Zwille und Kampfflugzeug scheint durchaus passend und aussagekräftig.

Etwas radikal mutet die kuratorische Entscheidung an, den Fokus ausschließlich auf weibliche Künstlerinnen zu beschränken. Der Vorwurf einer einseitigen Präsentation wäre aber nicht nur angesichts des Hintergrundes der Wirklichkeit Chinas, wo es nach wie vor kaum Repräsentationsmöglichkeiten für Frauen gibt, unhaltbar, er ist es noch viel mehr, weil die Schau viele Facetten weiblicher Kunst zeigt – von Gleichberechtigung, der Aufhebung traditioneller Rollen, dem Spanungsfeld zwischen Ideologie, Macht und Individualität bis hin zu wirtschaftlichen Umbrüchen, von den 60ern bis heute. Bemerkenswert ist übrigens auch der Umgang mit Kultur und Tradition, der zum Teil höchst spielerisch, immer aber gesellschaftlich anmutet. Beispiele dafür sind die aus Vulven bestehende, aus traditioneller chinesischer Handwerkskunst gefertigte Wandinstallation Our God is Great, Tao Aimins hölzerne Waschbretter sowie textilüberzogene Skulpturen Yin Xiuzhens, die an Raketen erinnern, den Titel Weapon tragen und traditionell von Frauen ausgeübte Kulturtechniken mit dem dystopischen technischen Fortschritt Chinas in Einklang versuchen zu bringen.

„STEPPING OUT!“ versammelt eine ganze Reihe vergessener Positionen von chinesischen Künstlerinnen, deren Aufschrei selbst in der westlichen Welt lange ungehört blieb. Das Museum der Moderne Salzburg löst nun in Kooperation mit Lillehammer Kunstmuseum und dem Kunstforeinigen GL Strand ein ungeschriebenes Versprechen ein. Eines, das längst überfällig war, gezeigt zu werden.

Mehr Texte von Florian Gucher

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Stepping Out! Female Identities in Chinese Contemporary Art
01.04 - 25.06.2023

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5020 Salzburg, Mönchsberg 32
Tel: +43 / 662 / 84 22 20-403, Fax: +43 / 662 / 84 22 20-700
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